Stuttgart 21/Gleisneigung

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Stuttgart 21 (Expertenrat) ► Gleisneigung ► Verfahrensmängel | Hintergrund | Chronologie | (S.a. → Deutsche Bahn)   //   [ Vollbild  |  aus  (Hilfe) ]

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Die Rekord-Gleisneigung von Stuttgart 21 mit 15 ‰ sechsfach über dem Sollwert bedeutet erhebliche Gefahren sowohl für Leib und Leben der Reisenden wie auch für die Züge. Eine technische Sicherung gibt es nicht. Das Gefälle übersteigt auch internationale Standards um Faktoren. Vorschriften wurden an Stuttgart 21 angepasst, statt dass der Tiefbahnhof sicher ausgelegt worden wäre. Die reale Gefahr zeigen die Wegrollvorgänge in Köln mit zahlreichen Verletzten schon bein einem Viertel des Gefälles.

Aktuell

29.09.2015 Die Klage gegen das Eisenbahnbundesamt wird aus formalen Gründen zurückgezogen, der Vorwurf besteht weiter.[1]
28.07.2015 Express: "Acht Verletzte seit 2010. Immer mehr Geisterzüge am Kölner Hbf!"[2]
15.07.2015 Die Bundesregierung gesteht 22 Wegrollvorgänge in Köln ein, überwiegend bei niedriger Gleisneigung.[3]
01.07.2015 Antrag der Linken auf Änderung der EBO auf einen verbindlichen Grenzwert von 2,5 ‰ Höchstneigung.[4]
13.02.2015 Bundesregierung antwortet Gastel unvollständig: 17 Wegrollvorgänge in Köln seit 2010, mit nur rudimentären Daten.
10.01.2015 Das Magazin Spiegel berichtet über die unverantwortlich überhöhte Gleisneigung.[5]
04.10.2014 Sven Andersen präsentiert in der Anhörung zu PFA 1.3 sein Gutachten zur unverantwortlichen Genehmigung der sechsfach überhöhten Gleisneigung.
18.06.2013 Frontal21, "Bahnhof in Schieflage": Die reale Gefahr für Leib und Leben, die dennoch genehmigt worden war. – Ohne große öffentliche Wirkung.[6]
20.11.2010 Schlichter Heiner Geißler in der Schlichtung: "Es braucht nur ein Kind ums Leben kommen, dann ist ihr ganzer schöner Bahnhof Schall und Rauch."[7]
18.11.2010 Landesverkehrsministerin Tanja Gönner gesteht ein, dass die Gleisneigung aus Kostengründen in Kauf genommen wird.[8]

Inhalt

11.01.2015, Spiegel online, Erklärvideo zu Stuttgart 21, der Schiefbahnhof: Die Bahn kommt - und rutscht (1:51 Min.).[5]
ZDF Frontal21, 18.06.2013, Bahnhof in Schieflage, Sicherheitsrisiken bei Stuttgart 21 (7:45 Min.).[6]


Zusammenfassung

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Stuttgart 21 wird als Großbahnhof eine Rekord-Gleisneigung aufweisen. Das Längsgefälle der Bahnsteiggleise liegt mit über 15,143 Promille (‰) sechsfach über dem Sollwert von 2,5 ‰ laut § 7 Abs. 2 der EBO[9]. In Köln kam es allein seit 2010 zu 22 Unfällen mit 8 Verletzten durch wegrollende Züge, überwiegend schon bei einem Viertel des S21-Gefälles. Durch die enge Auslegung des Tiefbahnhofs sind dann auch Kollisionen mit dem laufenden Verkehr möglich. Auf den Bahnsteigen ergibt sich durch eine zusätzliche Querneigung ein fast doppelt so hohes Gesamtgefälle, unbeaufsichtigte Kinderwägen können dann spontan vom Bahnsteig in das Gleis rollen.

Die von Betreiberseite als Rechtfertigung genannten Beispiel-Bahnhöfe mit erhöhter Gleisneigung sind sämtlich nicht vergleichbar. Haltepunkte, insbesondere von S-Bahn- oder Trambahnen oder Abschnitte im Gleisvorfeld oder in sicheren Bereichen anderer Bahnhöfe können kein Maßstab für Stuttgart 21 sein. Es findet sich weltweit kein vergleichbar großer Knoten-Bahnhof mit Zügen, die dem deutschen Fern- und Regionalverkehr entsprechen, mit einer annähernd so hohen Längsneigung, wie sie bei Stuttgart 21 geplant ist. Internationale Grenzwerte für das höchst zulässige Gefälle liegen vielmehr zumeist deutlich unter dem deutschen "Sollwert" von 2,5 ‰.

Die Baugenehmigung ist für diese Gleisneigung nicht zu verantworten. Im Genehmigungsverfahren wurde eine "gleiche Sicherheit" ohne Nachweis lediglich behauptet. Die Erteilung der Baugenehmigung ist unhaltbar und mutmaßlich auf erheblichen politischen Einfluss zurückzuführen (Andersen 2014), sie widerspricht anerkannten Sicherheitsstandards.

Vertiefte Informationen finden sich auf der Unterseite Hintergrund, worauf verschiedentlich → hingewiesen wird. Unten auf dieser Seite findet sich eine Übersicht wichtiger Dokumente zum Thema. Die Darstellung wichtiger Nachrichten und Meilensteine zum Thema findet sich auf der Unterseite Chronologie.

Bedeutung für den Bahnverkehr

Bahnsteiggleisgefälle aus "21 Gute Gründe für Stuttgart 21"[10]
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Für den Bahnverkehr birgt das erhöhte Gleisgefälle mehrere Risiken:

  1. Gefährdung der Fahrgäste beim Wegrollen. Die am häufigsten zu erwartenden Unfälle sind Unfälle mit Reisenden, die durch den wegrollenden Zug beim Ein- oder Ausstieg zu Fall kommen oder eingeklemmt werden. So wurden in Köln seit 2010 bei 22 Wegrollvorgängen 8 Personen verletzt, fast ausschließlich schon bei einem Viertel des S21-Gefälles. In Stuttgart werden die Züge in derselben Zeit 4-mal so schnell und so weit rollen mit einer 16-mal höheren Schadensintensität.
  2. Wegrollen in den Verkehr. Bei Stuttgart 21 mit dem sehr engen Bahnhof mit extrem kurzen Gleisvorfeldern und dem hohen Gefälle besteht eine erhebliche Gefahr, dass Züge in den anderen Verkehr hineinrollen. Ein solcher Unfall mit 3 Toten und 52 Verletzten hatte sich bspw. 1928 in Glasgow ereignet.[11]
  3. Verlängerte Durchrutschwege. Selbst in einem unmerklichen Gefälle verlängert sich für Züge der Bremsweg deutlich. Diese Gefahr zeigen bspw. zahlreiche Vorfälle an dem Haltepunkt Haan zwischen Wuppertal-Vohwinkel und Solingen Hbf. Hier liegt ein Gefälle von "nur" 6,6 ‰ vor, und dennoch kam es in der Vergangenheit immer wieder vor, dass sich der Lokführer verbremste und über den Bahnsteig hinausrutschte. Bei Stuttgart 21 kann er dann bei ungünstigen Verhältnissen, etwa bei einem Schmierfilm auf dem Schienen, wenn im Winter Eisbrocken vermischt mit Bremsenabrieb schmelzen, schon in fremden Verkehr hineinrutschen.
  4. Betriebliche Einschränkungen. Wegen der verlängerten Bremswege im Gefälle verbunden mit den bei Stuttgart 21 in großem Umfang geplanten Doppelbelegungen ergeben sich zahlreiche betriebliche Entschränkungen, die auch die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können. Das EBA schrieb dazu, dass über "betriebliche Maßnahmen", um die "Sicherheit des Betriebes zu gewährleisten", zur "Inbetriebnahme" zu entscheiden wäre.[12] Das erscheint als eine Verhöhnung der Steuerzahler, da die Einschränkungen so weitreichend sein können, dass die geforderte hohe Leistungsfähigkeit, die das Projekt überhaupt rechtfertigt, nicht mehr gegeben ist.

Angesichts dieser Gefährdungen ist die → Genehmigung des Gleisgefälles durch das EBA (PFB 1.1 S. 372 f) nicht zu halten:

  1. Kein Nachweis gleicher Sicherheit. Das EBA begründet seine Genehmigung: "Die Vorhabenträgerin hat die hierfür notwendigen Vorkehrungen zur Gewährleistung der gleichen Sicherheit in nicht zu beanstandender Weise und nachvollziehbar in ihren Antragsunterlagen dargestellt." Es folgt die Querneigung für die Bahnsteige (s. nachfolgend) aber keine "Vorkehrung" gegen das Wegrollen der Züge:
  2. Keine technische Sicherung gegen Wegrollen. Dazu heißt es lediglich (PFB 1.1 S. 373): "Zum anderen wird hinsichtlich des Wegrollens der Züge auf die Schutzziele der einschlägigen EBO verwiesen, die vor allem ein selbstständiges in Bewegung setzen von abgestellten Eisenbahnfahrzeugen (Wagen und Züge) zuverlässig verhindern wolle." Es wird – auch in den Antragsunterlagen – keine "Vorkehrung" oder technische Sicherung gegen das Wegrollen genannt. Eine gleiche Sicherheit ist daher nicht gegeben. Detaildarstellung

Bedeutung für die Reisenden

Die 15 ‰ Gefälle entsprechen laut Bahn in etwa dem Gefälle der Königsstraße in Stuttgart.[13] Ein solches Gefälle reicht jedoch aus, dass sich großrädrige Gefährte wie Kinderwagen oder Rollstühle in Bewegung setzen, insbesondere, wenn ein Quergefälle die Gesamtneigung auf rund 25 ‰ erhöht:

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Damit die Trolleys, Rollstühle und Kinderwagen nicht auf die Gleise rollen, ist eine zusätzliche Bahnsteig-Neigung von 10 bis 20 ‰ quer zur Bahnsteigkante in Richtung Bahnsteigmitte geplant.[13]

  1. Gesamt-Gefälle bis 25 ‰. Durch die Addition von Längs- und Quergefälle entsteht somit eine weiter verschärfte Gesamt-Neigung (diagonal) von bis zu 25 ‰, das für die Fußgänger deutlich zu spüren ist.
  2. Steigung über Grenzwert für barrierefreies Bauen. Diese Steigung liegt fast beim Doppelten der Königstraße und auch über dem Quergefälle-Grenzwert von 20 ‰ für barrierefreies Bauen in öffentlichen Gebäuden.[14] Die Trolleys und Kinderwägen, die bei 15 ‰ noch nicht losrollten, die schaffen es jetzt.
  3. Mülltonnen als Lösung. Die Bahn will in Bewegung gekommenes Gepäck oder Personen durch Bänke und "Mülltonnen" in dieser Abroll-Rinne stoppen.[13] Dies erscheint wenig elegant für einen so modernen Bahnhof. Diese Einbauten behindern außerdem die Personenströme beim Fahrgastwechsel und können vor allem daher nicht lückenlos ausgeführt werden, so dass auf erheblicher Länge des Bahnsteigs kein gewaltsames Abstoppen stattfindet.
  4. Hindernisrennen. Das Quergefälle ist auf die Hindernisse gerichtet. D.h. ein Fußgänger, der üblicherweise dem Gefälle folgt, wird auf die Hindernisse gelenkt und muss beim Ausweichen unbequem quer zu einem Gefälle von 25 ‰ laufen. Das führt zu Komforteinbußen.
  5. Abschussrampe: Rollt etwa ein unbeaufsichtigter Kinderwagen dem Gradient maximaler Neigung folgend los, dann erfährt er auf der "Gegensteigung" sogar noch weitere Beschleunigung, wird also nicht abgebremst und stürzt ins Gleis.

Ein rollhemmender Belag, also eine Art Kopfsteinpflaster, soll das Wegrollen behindern.[15] Dies führt zu einer hohen Lärmbelastung und gravierenden Komforteinbußen:

  1. Großrädrige Gefährte rollen dennoch los. Der rollhemmende Belag versagt bei großrädrigen Gefährten.
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    Der Lärm von tausend Trolleys. Der rollhemmende Belag führt zu einer erheblichen Lärmbelastung. Die meisten Bahnhöfe haben glatten Asphalt oder polierten Steinboden. Eine Art Kopfsteinpflaster erhöht den Lärm der Trolleys und Gepäckwagen beträchtlich, wie man leicht selbst auf entsprechendem Pflaster nachvollziehen kann. Dieser Lärm vervielfacht von hunderten Reisenden führt zu einer enormen Lärmkulisse, die durch die (im Vergleich zu anderen Bahnhöfen) sehr niedrigen Decken (im Randbereich des Bahnhofs sogar gebündelt) verstärkt wird, wozu der normale Bahnhofslärm (z.B. quietschende Bremsen) noch hinzukommt. Die Akustik des Tiefbahnhofs erscheint tatsächlich als ein noch ungeprüftes kritisches Feld des Projektes.
  3. Fitnesstraining mit dem Rollgepäck. Es bedeutet eine erhebliche Anstrengung, einen Rollkoffer gegen das Gefälle und den Widerstand des rollhemmenden Belags zu befördern. Wenn der Belag das Gepäck bei 25 ‰ Neigung bremst, dann muss der Bergaufgehende für seinen Trolley mindestens gefühlte 50 ‰ überwinden (bei dieser Steigung beginnt die Bahn mit Zahnradantrieb[16]). Das entspricht einem mit 5 % unangenehm steilen Anstieg.

In der Genehmigung der überhöhten Gleisneigung (PFB 1.1 S. 372 f) wurden die Gefahren für die Fußgänger übergangen mit dem simplen Verweis auf Querneigung und rollhemmenden Belag:

  1. Unvertretbare Genehmigung auf Basis der Querneigung. In der Genehmigung der Gleisneigung schreibt das EBA in Bezug auf das Gefälle der Bahnsteige: Die Querneigung "gewährleistet eine sichere Benutzung auch für Kinderwagen, Rollenkoffer und Ähnliches. Eine Gefährdung ist somit auszuschließen." Das ist falsch. Die Querneigung erleichtert das Losrollen und was ins Rollen gekommen ist nimmt selbst in der "Gegensteigung" noch weiter Fahrt auf (s.o.). Die Genehmigung des EBA ist eine bloße Behauptung und unhaltbar.

Das Gefälle ist für die Fahrgäste schon im Blick auf die bestehenden Grenzwerte für barrierefreies Bauen bedenklich, ganz abgesehen von der Gefahrensituation im Bahnhof. Der Notbehelf mit einem rollhemmenden Belag versagt bei großrädrigen Gefährten und führt zu erheblichen Komfort-Einbußen. Die Kombination Gefälle, Querneigung und rollhemmender Belag widersprechen den Schutzzielen der EBO. Längs- und Quergefälle der Bahnsteige sind für die Fußgänger untragbar.

Internationale Richtwerte für die Gleisneigung in Bahnhöfen im Hochgeschwindigkeitsverkehr. Quellen und Erläuterungen siehe → Hintergrund.

Internationale Richtwerte für die Gleisneigung

→ Detaildarstellung mit allen Quellen Hintergrund#Internationale_Richtwerte

Zur Einordnung der exorbitant hohen Längsneigung bei Stuttgart 21 von 15,143 ‰ lohnt der Blick auf Internationale Richtwerte. Da der Stuttgarter Haupbahnhof auch und gerade vom Fernverkehr angefahren wird, sind die Werte für den Hochgeschwindigkeitsverkehr maßgeblich.

Andersen hatte die Grenzwerte für des Hochgeschwindigkeitsverkehrs für Japan, Taiwan und China berichtet (Andersen 2013). Die Bundesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage der Linken, ihr seien keine Informationen zu Soll- und Kannbestimmungen für die Gleisneigung in anderen EU-Mitgliedstaaten bekannt (KA LINKE 2015 Frage 12). Dies provozierte eine erste Recherche von WikiReal zum Thema, die die Werte von Spanien und Großbritannien erbrachte sowie zahlreicher anderer Länder (Abb. rechts).

Es lassen sich keine Grenzwerte deutlich über 2,5 ‰ zulässiger Gleisneigung finden. Der Shinkansen in Japan markiert mit 3 ‰ den höchsten zulässigen Wert. In den Ländern Taiwan, Israel, Spanien, Bangladesh, USA, Indien, China und Singapur gelten Grenzwerte von 1 ‰ oder darunter, die nur in Ausnahmefällen überschritten werden dürfen (unter die S21 in der Regel nicht fällt). In Indien werden sogar bestehende Bahnhöfe verlegt, um sie eben auszuführen und in Fällen oberhalb 3,8 ‰ muss eine Notfallspur eingerichtet werden.

Bisher sind keine weiteren – insbesondere auch keine höheren – Grenzwerte aus weiteren Ländern bekannt. Auch wurden keine Länder gefunden, die ausdrücklich ein beliebig hohes Gefälle von Bahnsteiggleisen zulassen. Höhere Werte wurden in den vorgenannten Ländern für S-Bahnen und Trambahnen gefunden, die jedoch mit dem Hochgeschwindigkeitsverkehr nicht vergleichbar sind.

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Weitere Beiträge zu dieser Recherche sind sehr willkommen.

Wegrollvorgänge in Köln

Wegrollvorgänge in Köln seit 2010 (KA LINKE 2015). 22 Ereignisse mit 8 Verletzten[2] fast ausschließlich schon bei einem ¼ des Gefälles von Stuttgart 21.

→ Detaildarstellung mit Tabelle der Unfälle: Hintergrund#Koeln

Für Stuttgart 21 gibt es keine technische Sicherungen gegen Wegrollen, sondern allein die Dienstanweisung, dass Lokführer die Züge bremsen sollen. Das gilt aber bspw. auch in Köln, wo das Gefälle der Bahnsteiggleise zumeist nur gering über dem Sollwert liegt.[17] Hier kam es jedoch zu zahlreichen Wegrollvorgängen (Andersen 2013, Andersen 2014 S. 17, Frage Gastel 2015, KA LINKE 2015). Die Wegrollvorgänge geschahen fast durchgängig bei nur 3,68 ‰ Neigung. 70 % der Ereignisse geschahen in den 2 Stunden von 4:45 Uhr bis 6:45 Uhr. Diese vielen Wegrollvorgänge in Köln mit inzwischen 8 Verletzten,[2] zeigen die erhebliche Gefahr für Leib und Leben der zukünftigen Reisenden im Tiefbahnhof von Stuttgart 21.

Vielfach höhere Unfallhäufigkeit und Schadensintensität in Stuttgart

Bei Stuttgart 21 ist das Gefälle mit 15,143 ‰ rund 4-mal höher als bei den meisten Vorfällen in Köln. Das Risiko ist ebenfalls etwa um diesen Faktor höher. Züge werden in Stuttgart in derselben Zeit rund 4-mal so schnell und rollen 4-mal so weit. Die Schadensintensität ist dann rund 16-mal so hoch wie in Köln.[18] Auch die Häufigkeit der Unfälle wird deutlich zunehmen, da der sogenannte Losbrechwiderstand bei 5 ‰ liegt.[19][20] Das heißt, dass es in Stuttgart 21 nicht zu vereinzelten Wegroll-Ereignissen kommt, wenn die Bedingungen ein Wegrollen begünstigen, sondern dass bei Stuttgart 21 jeder ungebremste Zug losrollen wird.

Kein vergleichbarer Bahnhof mit ähnlichem Gefälle

Bahnhof Neigung  Bemerkung
 Stuttgart 21 15,143 ‰  Groß- u. Knotenbhf., hunderttausende Fahrgäste, HGV
 Köln Hbf v.a. 3,68 ‰, bis 6,8 ‰  vergleichbar S21, aber zahlreiche Unfälle mit Verletzen
 Fornsbach 9,187 ‰  Kreuz.bhf. an 1-gleis. Strecke, 1.400 Einwohn., Reg.verk.
 Dresden Wehrhahn 5-6 ‰  S-Bahn
 Ludersheim 4,127 ‰  S-Bahn
 Ingolstadt Nord 20,0 ‰  Haltepunkt, Regionalverkehr<
 Stuttgart-Feuersee 20,0 ‰  Haltepunkt, S-Bahn
Bahnhöfe und Haltepunkte mit erhöhter Neigung. Rot hervorgehoben sind die Merkmale, die den Bahnhof als Beleg für die Unbedenklichkeit des Gefälles ausscheiden lassen.

In Ermangelung von technischen Vorkehrungen zur Herstellung einer gleichen Sicherheit wie in einem Bahnhof mit maximal 2,5 ‰ Neigung argumentiert die Betreiberseite lediglich mit Beispiel-Bahnhöfen mit erhöhtem Gefälle (DB Beispiele 2014). Die genannten Beispiele sind jedoch sämtlich nicht vergleichbar. Haltepunkte, insbesondere von S-Bahn- oder Trambahnen oder Abschnitte im Gleisvorfeld oder in sicheren Bereichen anderer Bahnhöfe können kein Maßstab für Stuttgart 21 sein. Die noch am ehesten zu prüfenden bzw. häufiger genannten Kandidaten werden in nebenstehender Tabelle aufgeführt.

Köln Hbf kommt S21 am nahesten, wo es – wie oben dargestellt – schon bei einem Viertel des Gefälles, bei 3,68 ‰, zu zahlreichen Wegrollvorgängen mit Verletzten kam. Köln Hbf ist also vielmehr eine Warnung und wir können uns ausrechnen, dass bei Stuttgart 21 das Risiko rund 16-mal höher ist. Köln belegt also nicht die Machbarkeit und Ungefährlichkeit der erhöhten Gleisneigung, sondern das Gegenteil.

Es findet sich weltweit kein vergleichbar großer Knoten-Bahnhof mit Zügen, die dem deutschen Fern- und Regionalverkehr entsprechen, mit einer annähernd so hohen Längsneigung, wie sie bei Stuttgart 21 geplant ist.

Dokumente

Relevante Dokumente in umgekehrt chronologischer Reihenfolge, im obigen Text in Klammern referenziert, z.B. (Andersen 2014).

KA Linke 2015   Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken "Aufklärung von Wegrollvorgängen bei der Bahn aufgrund der Gleisneigung in Bahnhöfen", 15.07.2015 (pdf dipbt.bundestag.de)
Frage Gastel 2015   Antwort der Bundesregierung auf Fragen Nr. 69 und 70/Februar von Matthias Gastel, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen. In: Plenarprotokoll 18/93 vom 18.03.2015 (pdf dipbt.bundestag.de), S. 8876.
DB Beispiele 2014   Zwei Dokumente, eingereicht beim RP Stuttgart am 09.12.2014: "Ausgewählte Beispiele von Längsneigungen in Bahnhöfen" (pdf rp.baden-wuerttemberg.de), "Ausgewählte Beispiele von Bahnsteigneigungen in Bahnhöfen" (pdf rp.baden-wuerttemberg.de).
Andersen 2014   Dipl.-Ing. Sven Andersen, BDir a.D., "Gutachten über die Beurteilung der überhöhten Gleisneigung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 unter Berücksichtigung der Anforderungen aus der EBO und dem bisherigen Verfahrensablauf", 04.10.2014 (pdf rp.baden-wuerttemberg.de)
Andersen 2013   Sven Andersen, "Die Neigung von Gleisen an Fahrgastbahnsteigen im Spiegel der Vorschriften und der betrieblichen Praxis", Bahn-Report 3/2013, S. 7-10
Andersen 2011‑11   Sven Andersen, "Das Bahnsteiggleisgefälle im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof im Licht der TSI Infrastruktur HGV", Eisenbahn-Revue International 11/2011, S. 564-565 (pdf michael-cramer.eu
Andersen 2011‑06   Sven Andersen, "Das Bahnsteiggleisgefälle in Stuttgart 21 im Blick der Vorschriften und der betrieblichen Praxis", Eisenbahn-Revue International 06/2011, S. 310-311 (pdf archiv.kopfbahnhof-21.de)
Happe 2010‑12   Eberhard Happe, Leserbrief zu "Stuttgart 21 – betriebsgefährlich?", Eisenbahn-Revue International 12/2010, S. 645.
Andersen 2010‑11   Sven Andersen, "Stuttgart 21 – wie es dazu kam" (pdf gute Qualität archiv.kopfbahnhof-21.de, pdf mit Kommentar bawue.gruene-fraktion.de)
PFB 1.1   Planfeststellungsbeschluss, "Projekt Stuttgart 21" Planfeststellungsabschnitt 1.1 (Talquerung mit neuem Hauptbahnhof) (Az.: 59160 Pap-PS 21-PFA 1.1 Talquerung), 28.01.2005 (bahnprojekt-stuttgart-ulm.de)
Happe 1992   Eberhard Happe, "Kritisches zur Neubaustrecke Stuttgart-Ulm", Eisenbahn-Kurier 2/1992, S. 28-31

Einzelnachweise

  1. 29.09.2015, stuttgarter-zeitung.de, "Ex-Bahner zieht Klage zurück"
  2. a b c 28.07.2015, express.de, "Immer mehr Geisterzüge am Kölner Hbf!"
  3. 21.07.2015, sabine-leidig.de, Pressemitteilung von Sabine Leidig, der verkehrspolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, "Gleisneigung bei S21: Gefährlich!"
  4. 01.07.2015, dip21.bundestag.de, Antrag der Fraktion Die Linke, "Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr", BT-Drs 18/5406
  5. a b 10.01.2015, spiegel.de, "Kunststück am Hang" (Erklärvideo Spiegel online auf youtube.com, facebook.com)
  6. a b 18.06.2013, zdf.de, Frontal21, "Bahnhof in Schieflage" (Video youtube.com)
  7. 20.11.2010, 6. Tag der Faktenschlichtung, 17:19 Uhr, Dr. Heiner Geißler
  8. 18.11.2010, Pforzheimer Zeitung, "Ich sehe meine Zukunft im Land" S. 3. (pdf, siehe auch 17.11.2010, pz-news.de)
  9. Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 (BGBl. 1967 II S. 1563)" (EBO) (Link gesetze-im-internet.de, pdf gesetze-im-internet.de)
  10. 12.2010, "21 Gute Gründe für Stuttgart 21", 4. Auflage, S. 21, (bahnprojekt-stuttgart-ulm.de)
  11. Bericht an das Verkehrsministerium zu dem Unfall im Bahnhof Glasgow Queen Street vom 12.10.1928 mit 3 Toten und 52 Verletzen (pdf railwaysarchive.co.uk)
  12. 04.05.2015, EBA an Jobst Knoblauch.
    11.08.2014, EBA an VCD Landesverband Baden-Württemberg (Andersen 2014 Bl. 47)
  13. a b c 20.11.2010, 6. Tag der Faktenschlichtung, ab 14:20 Uhr, Dr. Volker Kefer
  14. Dachverband Integratives Bauen, "Checklisten für die Neuplanung", S. 3 (dipb.org). Der Grenzwert stammt offenbar aus Din 18024-2.
  15. 08.11.2010, spiegel.de, "Schiefe Bahn"
  16. wikipedia.org Gefälle von Eisenbahnstrecken
  17. Nach den örtlichen Richtlinien für Zugbegleitpersonal (Zub) für Köln Hbf gelten folgende Längsneigungen (Frage Gastel 2015): Gleis 2: 5,160 ‰, Gleis 3: 6,800 ‰, Gleis 4-8: 3,680 ‰.
  18. Energiesatz: E = ½ mv², der Schaden ist proportional zur Energie E, die bei 4-facher Geschwindigkeit v auf das 16-fache steigt.
  19. Wolfgang Schiemann, "Schienenverkehrstechnik: Grundlagen der Gleistrassierung", Springer-Verlag, 08.03.2013, S. 77 (books.google.de)
  20. Jürgen Janicki, Horst Reinhard, "Schienenfahrzeugtechnik", Bahn Fachverlag, 2008, S. 41 (books.google.de)