Stuttgart 21/Leistung/Heimerl 1997

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Prof. Heimerl hatte in den von ihm entworfenen Betriebsprogrammen zur Auslegung von Stuttgart 21 nicht die geforderte Leistungsfähigkeit abgebildet. Fehlende Angaben und Vergleiche verdeckten diesen Umstand, unzulässig kurze Haltezeiten und die Annahme von nicht geplanter Infrastruktur schönten die Leistungsfähigkeit.

Fehler im Gutachten von Prof. Heimerl 1997

Lastkurve der Auslegung von S21 und des Fahrplans von 1996. Im neu gebauten Bahnhof sollten somit in der Planung für die Zukunft sowohl in der Spitze, wie in der Nebenzeit weniger Züge fahren, als im bestehenden Bahnhof zur Zeit der Planung. Dafür würden nachts, wenn der Verkehr normalerweise auf Null zurück geht, mehr Züge als am Mittag fahren.

Prof. Gerhard Heimerl vom VWI der Uni Stuttgart, der "Vater" von Stuttgart 21, hatte die Betriebsszenarien entworfen, die Grundlage der entscheidenden Leistungsuntersuchungen in der Planfeststellung durch Prof. Wulf Schwanhäußer waren.

Diese Betriebsszenarien bildeten aber nicht das geforderte Verkehrswachstum ab, sondern beschreiben einen deutlichen Rückgang der Zugzahlen während des Tages. Das geforderte Wachstum wird nur erreicht, wenn nachts mehr Züge als mittags fahren würden. Das ist ein unzulässiger Hütchenspielertrick, der nicht die Grundlage der Auslegung eines zentralen Bahnknotens sein kann. Die gewählte Haltezeit von 2 Min. ist viel zu kurz und schönt die Leistungsfähigkeit. Sie wurde mit einer methodisch falschen Untersuchung gerechtfertigt. In Prof. Heimerls Gutachten fehlen grundlegende Angaben und Vergleiche mit dem Ist und dem Soll, wodurch die Nicht-Erfüllung der Leistungsanforderung verdeckt wird. Auch das in den Vordergrund gerückte Szenario E, das aber eine nicht geplanten Infrastrukturvariante voraussetzt, täuscht über die wahre Leistungsfähigkeit hinweg.

  1. Auslegungsleistung 32 Züge nicht offengelegt. Prof. Heimerl hat die tatsächliche, geringe Auslegungsleistung in dem einzig relevanten "Szenario A" nicht offengelegt, sondern nur zum Selber-Abzählen im Anhang verborgen (Heimerl 1997 Anl. 21-24).
  2. Unbegründetes Urteil "optimal dimensioniert". Stattdessen wird in der Zusammenfassung ohne weitere Begründung grob unzutreffend behauptet (Heimerl 1997 S. 20): "Das Betriebsprogramm Stuttgart 21 ist im Hinblick auf die zu erwartende zukünftige Nachfrage ausreichend und optimal dimensioniert." In Band I seines Gutachtens bezeichnet sein Betriebsprogramm "sehr gut der prognostizierten Nachfrage angepasst" ohne das im Einzelnen zu belegen. Dabei fuhren 1996 schon ab Morgens um 6:40 Uhr 38 Züge pro Stunde, also deutlich mehr als die 32 Züge seines Auslegungsbetriebsprogramms.
  3. Betriebsprogramm verfehlt das geplante Wachstum. Heimerl bildete das mit dem "Betriebsprogramm 2010+X, 2015" geforderte Wachstum nicht annähernd zutreffend in seinem Auslegungsbetriebsprogramm "Szenario A" ab. Die 32 Züge in der Spitzenstunde liegen –15 % unter dem damaligen Fahrplan und die 19 Züge der Nebenverkehrszeit liegen –11 % unter dem Ist (Abb. rechts), geschweige denn, dass sie dem geforderten Wachstum (siehe oben) von rund +43 % nahe kommen.
  4. Nachts mehr Züge als mittags. Die absurde Konsequenz: Um die Tageszugzahlen zu erreichen, die dem Wachstum entsprechend dem geforderten Betriebsprogramm entsprechen, müssten nachts mehr Züge als mittags fahren (Abb. rechts)! Tatsächlich geht aber der Verkehr in der Nacht normalerweise auf Null zurück. Aus dem Heimerl Betriebsszenario ergibt sich die Notwendigkeit, dass Nachts im Schnitt fast dreimal so viele Züge fahren wie üblich (+174 %).
Nebenrechnung Nachtverkehr: Maßgebliches Betriebsszenario BVWP 2003: 530 Züge pro Tag.[1] Typischer Modellverlauf laut Heimerl über den Tag: 4 Stunden mit Spitzenstundenverkehr (32 Züge / h), zwei morgens, zwei abends, und dazwischen 7,5 Stunden mit Nebenstundenverkehr (19 Züge / h).[2] Für die verbleibenden 12,5 Stunden ergeben sich damit durchschnittlich [530 − (4 × 32) – (7,5 × 19)] / 12,5 = 20,8 Züge im Schnitt in jeder Stunde der Nacht! Das ist mehr als mittags!
  1. "Auftragsgemäß" nur niedrige Nachmittagsspitze betrachtet. Prof. Heimerl und Prof. Schwanhäußer hatten auf Anforderung des "Auftraggebers" nur die weniger herausfordernde Spitzenstunde am Nachmittag betrachtet (Schwanhäußer 1997 S. 61).
  2. Reduktion der Leerfahrten ist zu begründen. In Heimerls Betriebsprogrammen werden die Leerfahrten gerade in Spitzenstunden entgegen dem Bedarf reduziert (Engelh. 06.2013 Rek. Punkt 18, Engelh. 06.2012 S. 5, 28, Engelh. 06.2013 S. 7). Es ist aber zu erwarten, dass die Pendler zukünftig weiterhin im Wesentlichen ähnlich wie heute überwiegend morgens in die Stadt und abends stadtauswärts fahren würden, was auch die internationalen Fachleute bestätigen (Engelh. 06.2013 Umfr. Statement 5).
  3. Haltezeiten von 2 Min. viel zu kurz. Die praktisch durchgehend auch als Planhaltezeiten angesetzten Mindesthaltezeiten von 2 Minuten sind für einen Knotenbahnhof wie Stuttgart nicht zu halten. In Knotenbahnhöfen mit vergleichbarem Fahrgastwechsel wie Köln oder Hannover liegen Haltezeitenn von 4 bis 6 Minuten vor. Die Haltezeiten sind – auch laut Prof. Heimerl (Heimerl 1994 S. 31) – der größte Hebel für die Leistungsfähigkeit eines Durchgangsbahnhofs. Auch die Vorgabe des Stresstest-Fahrplans (durch Fachleute des Landes Baden-Württemberg) mit mittleren veröffentlichten Haltezeiten von 5,3 Minuten ist eine weitere Bestätigung dieser Kritik. In der Umfrage wurde deutlich gemacht, dass über die Mindesthaltezeit hinaus Pufferzeiten zu berücksichtigen sind (Engelh. 06.2013 Umfr. Statement 7).
  4. Vergleichsuntersuchung zu Haltezeiten methodisch falsch. Die auch vor dem VGH akzeptierte Rechtfertigung der Haltezeiten (VGH 2006 Rn. 61) durch eine Orientierung an Durchschnittswerten ist methodisch falsch. Deutschlandweite Durchschnittswerte können nicht Maßstab für Stuttgart sein, wo ein bekanntermaßen besonders "starker Fahrgastwechsel" vorliegt (Schwanhäußer 1994 S. 14). Dies wird auch von der Umfrage bestätigt (Engelh. 06.2013 Umfr. Statement 6, 8). Die Bahn-Richtlinie schreibt in jedem Fall zusätzlich die Verwendung von Abfertigungszeiten vor (Richtlinie 405.0103 A 02 S. 3), was in der Untersuchung der Planfeststellung nicht der Fall war.
  5. Szenario E nicht relevant. Das Szenario E "erweitertes Angebot" mit bis zu 39 Zügen pro Stunde wurde schon 2006 vom VGH verworfen, da es auf der geplanten Infrastruktur nicht realisiert werden kann und den Ausbau des Pragtunnels voraussetzt (VGH 2006 Rn. 59, 47, Engelh. 06.2013 S. 11). Die 39 Züge sind ohnehin auch für die Bahnsteiggleisanlage aufgrund der angesetzten unrealistisch niedrigen Haltezeiten überhöht und sind schon bei der von Gutachter Schwanhäußer favorisierten Haltezeit auf rund 33 Züge zu reduzieren (Engelh. 06.2012 S. 10 f, Engelh. 06.2013 Rek. Punkt 20).

Dokumente

Siehe auch → Leistung/Dokumente

Auswahl, in chronologisch aufsteigender Reihenfolge.

Heimerl 1994   Gerhard Heimerl et al., "Projekt Stuttgart 21, Machbarkeitsstudie Verkehrliche und betriebliche Untersuchung, betriebs- und gesamtwirtschaftliche Bewertung Ergebnisbericht der Fachgruppe 2", 1994 (pdf bahnprojekt-stuttgart-ulm.de)
Heimerl 1997 Teil I   Gerhard Heimerl et al., "Integraler Taktfahrplan (ITF) Betriebsprogramm für Stuttgart 21", 1997, 50 Seiten
Heimerl 1997   Gerhard Heimerl et al., "Stuttgart 21 Ergänzende betriebliche Untersuchungen, Teil II, Kapazitätsreserven beim geplanten Stuttgarter Hauptbahnhof sowie beim Betriebskonzept Stuttgart 21", 1997, 50 Seiten mit Anlage 1 bis 33. [In der Kurz-Zitierung "Heimerl 1997" wird "Teil II" für dieses häufig zitierte Gutachten zur Vereinfachung weggelassen.]
Heimerl 1997 I+II   Gerhard Heimerl et al., „Stuttgart 21, Ergänzende betriebliche Untersuchungen Teil I: Integraler Taktfahrplan (ITF), Betriebsprogramm für Stuttgart 21, Teil II: Kapazität des geplanten Stuttgarter Hauptbahnhofs und seiner Zulaufstrecken“, 1997, 126 Seiten mit Anlage 1 bis 40 (pdf bahnprojekt-stuttgart-ulm.de). Ungekürzte Fassung.[3]
Engelh. 06.2012   C. Engelhardt, Stellungnahme für den VGH BW zu dem in der Planfeststellung belegten Rückbau durch S21, 07.06.2012 (pdf wikireal.org)
Engelh. 06.2013   C. Engelhardt, Ergänzende Stellungnahme für den VGH BW zu neuer Sachlage, 24.06.2013 (pdf wikireal.org)
Engelh. 06.2013 Umfr.   C. Engelhardt, Ergebnis einer Umfrage unter internat. Fachleuten zu Prämissen der S21-Kapazitätsbestimmung, 24.06.2013 (pdf wikireal.org, Fragebogen, Anschreiben)
Engelh. 06.2013 Rek.   C. Engelhardt, Rekonstruktion – Warum der Leistungsrückbau übersehen werden konnte, 24.06.2013 (pdf wikireal.org, Vorgängertext v. 04.03.13)
Engelh. 06.2014   C. Engelhardt, Stellungnahme zum Hauptsacheverfahren Sängerstraße vor dem VGH, 06.06.2014 (pdf wikireal.org). Beweisanträge vom 02.07.2014 (pdf wikireal.org)

Einzelnachweise

  1. Planfeststellung: 1.060 Züge (gemeint sind Fahrten) aus 856 An- und Abfahrten und 204 Fahrten von und zum Abstellbahnhof (PFB 1.1 S. 149, 154).
    Finanzierungsvertrag: Die täglich 856 Zugfahrten (Ankünfte und Abfahrten) des BVWP 2003 im Bahnhof Stuttgart 21 sind "maßgebend für die Bemessung der geplanten Infrastruktur" (Ziff. 2 S. 5). Sie werden für das "Angebot" genannt, das S21 ermöglichen soll (Ziff. 3.2 S.7, 8), zusammen mit den dort erwähnten 204 Abstellfahrten ergeben sich 1060 Zugfahrten = 530 Züge täglich im Betriebsszenario BVWP 2003.
    Das Betriebsszenario BVWP 2003 war das zuletzt maßgebliche Szenario in der Planfeststellung. Heimerl hätte eines der Vorgängerszenarien abbilden müssen, diese hatten alle aber noch mehr Zugfahrten (zum Vergleich: BVWP 2015 hat 984 An- und Abfahrten), also würde der Nachtverkehr noch größer ausfallen. Zugunsten von Heimerl wurde mit BVWP 2003 gerechnet.
  2. ITP/VWI 1997 Abb. 4.4, 4.5, 5.6, 5.7
  3. Diese Fassung des Heimerl-Gutachtens wurde von der DB Netz AG erst am 22.07.2014 veröffentlicht. Sie weicht deutlich von den zuvor genannten Fassungen ab, die in der Planfeststellung eingereicht worden waren. Insbesondere in Teil II gibt es deutliche Abweichungen in den Formulierungen, der Umfang ist um 50 % größer als in die in der Planfeststellung eingereichte Fassung, in der die Zugzahl des Auslegungsbetriebsprogramms noch schlechter feststellbar ist. Es stellt sich die Frage, zu welchem Zweck das Gutachten für die Planfeststellung derart deutlich gekürzt worden war (Engelh. 09.2014 S. 31 f).