2. Stammstrecke München/Verfahrensmängel: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 29. Januar 2019, 22:01 Uhr

2. Stammstrecke München ► Brandschutz Tunnel | Verfahrensmängel | Zitate | Chronologie   //   [ Vollbild | aus (Hilfe) ]

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Für Milliarden Euro an Steuergeldern wird ein großer verkehrlicher Schaden angerichtet. Dazu stellt sich die Frage, welche Verfahrensfehler verantwortlich sind, dass eine solche Entscheidung zustande kommen konnte. Zum einen haben offenbar sachfremde Entscheidungsgründe die Politik beeinflusst, außerdem ist offenbar die Bundesregierung nachlässig in der Kontrolle der Verwendung von Steuergeldern und die Münchner Staatsanwaltschaft setzt sich mit ihrer Begründung der Verweigerung von Ermittlungen dem Verdacht einer Willkürentscheidung aus.

07.10.2017, Badische Zeitung, Original-Bildunterschrift: „Martin Herrenknecht (rechts) erklärt Alexander Dobrindt, wie die Firma funktioniert." (Foto: Badische Zeitung, Ulrike Derndinger).[1]

Sachfremde Entscheidungsgründe der Politik

Für Milliarden Euro an Steuergeldern wird ein großer verkehrlicher Schaden angerichtet. Dazu stellt sich die Frage, wie eine solche Entscheidung zustande kommen konnte. Folgende Aspekte könnten dabei eine Rolle gespielt haben.

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Martin Herrenknecht, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender des Weltmarktführers für Tunnelbohrmaschinen wird erheblich von dem Tunnelprojekt profitieren. 2013 zur Bundestagswahl spendete Herrenknecht den Parteien der neuen Regierungskoalition erhebliche Summen. Insbesondere gehen auch 25.000 Euro an die CSU.[2] Dies erinnert an die Spenden, die im Vorfeld von Stuttgart 21 von Herrenknecht an die über das Projekt entscheidende CDU flossen. In einer Talkshow räumte er damals freimütig ein, dass er mit Stuttgart 21 einen (im Vergleich zu seinen Parteispenden von damals 70.000 Euro[3] vielfach so hohen) Gewinn in Höhe von rund "2-3 Mio. Euro" macht.[4] Gut zwei Wochen vor der Unterzeichnung der Realisierungsvereinbarung für die 2. Stammstrecke besuchte Bundesverkehrsminister Dobrindt Herrenknecht in seiner Firma[1] und drückte damit mutmaßlich seine Wertschätzung für diese Schlüsselindustrie aus (Abb. rechts). Die 2. Stammstrecke bildet nach der angepeilten Beendigung der Tunnelbohrarbeiten bei Stuttgart 21 gegen 2020 den idealen Anschlussauftrag für Herrenknecht. Es können wahrscheinlich die Tunnelbohrmaschinen von Stuttgart 21 zu wesentlichen Teilen wiederverwendet werden.

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Neben solchen geldwerten Vorteilen aus Parteispenden gibt es weitere Aspekte für die Entscheidung der Politik für das Großprojekt. So titelte die FAZ zu dem Beschluss für die 2. Stammstrecke am 25.10.2016: "Seehofer baut sich ein Denkmal."[5] Ministerpräsident Horst Seehofer formulierte seine Zielsetzung mit der 2. Stammstrecke so: "Wir wollen wirklich mal zeigen, dass ein Großprojekt in Deutschland noch geht am Beispiel Bayern und der Deutschen Bundesbahn und dass wir im Rahmen bleiben von der Zeit und von den Kosten."[6] Es geht somit wesentlich um eine Demonstration von Umsetzungsfähigkeit und weniger um die Erreichung verkehrspolitischer Zielsetzungen. Dies erinnert an die frühere Bildungsministerin von Baden-Württemberg Annette Schawan, die zu Stuttgart 21 sagte: "Es ging uns in der Landesregierung natürlich auch darum, München zu zeigen, was dieses Stuttgart draufhat."[7] Das erinnert an die vielen weiteren fatalen Parallelen zum desaströsen Projekt Stuttgart 21 (Engelh. 2018).

Die Bundesregierung duckt sich weg

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In ihrer Antwort vom 12.04.2017 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke vom 08.03.2017 (KA Linke 2017) weicht die Bundesregierung wesentlichen Fragen aus und zeigt, dass sie nicht rechnen kann, weder beim Nutzen-Kosen-Faktor (NKF) noch bei den zu erwartenden Kostensteigerungen aus Nachträgen:

  1. NKF wahrscheinlich < 1, wohl eher 0,5 bis 0,7. Die Bundesregierung hält den Nutzen-Kosten-Faktor von 1,05 für unproblematisch, da damit der "erforderliche Wirtschaftlichkeitsnachweis" erbracht worden sei (KA Linke 2017 Frage 9). Dabei war dieser Wert für Gesamtkosten von 2,3 Mrd. Euro ermittelt worden. Die bayerische Staatsregierung gibt aber aktuell 3,18 bis 3,84 Mrd. Euro Kosten an. Gemäß den früheren Nutzenannahmen entspräche das einem Nutzen-Kosten-Faktor (NKF) von 0,5 bis 0,7 (Vieregg 2016). Und selbst wenn man die jüngst unterstellte unglaubwürdige Nutzen-Vermehrung akzeptieren würde, würde der NKF wahrscheinlich unter 1 liegen, so dass das Projekt nicht mehr realisiert werden dürfte (siehe oben).
  2. Die Bundesregierung weicht wesentlichen Fragen aus. Bei kritischen Punkten kneift die Bundesregierung :
    1. Frage 4: Auf die Frage was der "Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" des GVFG "im Einzelnen" bedeutet, wird geantwortet, dass der "Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" des Haushaltsrechts gilt, aber nicht ausgeführt, was das "im Einzelnen" bedeutet.
    2. Frage 5: Ist jemals NKF neu ermittelt worden, wird lediglich mit "ja" geantwortet, aber keine Beispiele gegeben.
    3. Frage 6, 18: Auf die Frage, was geschieht, wenn der NKF (nach Neuberechnung) unter 1 rutscht, wird geantwortet, dass der NKF neu berechnet werden müsste!? Außerdem wird unter Verweis auf eine frühere Anfrage[8] darauf hingewiesen, dass das noch nie vorgekommen sei. Das ist unglaubwürdig, offenbar wurden in kritischen Projekten der NKF am Ende nicht mehr nachgezogen. Insbesondere aber wird nicht geantwortet, welche Konsequenzen zu ziehen wären.
    4. Frage 11: Auf die (implizite) Frage, warum sich der Nutzen vermehrt hat, wird geantwortet, dass sich der Nutzen vermehrt hat. Formal ist die Antwort auf die ausdrückliche Frage korrekt, aber sie beantwortet nicht die Intention der Frage.
    5. Frage 14: Auf die Frage nach den überraschend gesunkenen Unterhaltskosten in der neuesten NKF-Berechnung von 2016 nach dem Warum und den Erklärungen antwortet die Bundesregierung nichtssagend mit "Planungsfortschritten". Dies ist vollkommen unsubstantiiert, es könnte sich auch um Fortschritte in der Schönrechnung des Projekts handeln.
    6. Frage 15: Auf die Frage nach den Einbußen für den Nutzen durch die überlangen Zuwege in die bergwerksartig tiefgelegenen Stationen, antwortet die Bundesregierung nur mit einer Betrachtung der Fahrzeitgewinne von Express-S-Bahnen und übergeht die Nutzenwirkung der wegfallenden Verbindungen durch fehlende angefahrene Stationen.
    7. Frage 17: Die Bundesregierung kann nicht erklären, warum nach einer erheblichen Kostensteigerung des Projekts nicht erneut mit der Alternative verglichen wird. Außerdem war 2009 nicht wie von Stadtrat und Landtag beauftragt die Alternative des Vieregg-Rössler-Südrings geprüft, sondern mit einer neuen, künstlich verteuerten Variante (STMWiVT 2009).[9]
    8. Frage 19: Die Bundesregierung liegt falsch, wenn sie sagt, Reisezeitänderungen könnten nicht für einzelne Haltestellen angegeben werden. Sie sind Bestandteil der Gesamt-Reisezeitänderungen und ergeben sich schlicht aus der Multiplikation der Zahl der Fahrgäste mit den geänderten Wegezeiten. Hier würden die Schwachpunkte der 2. Stammstrecke besonders deutlich hervortreten.
    9. Frage 20: Auf die Frage nach einem Zuschlag für das 1. Umsteigen in der gesamten Nutzenermittlung laut Standardisierter Bewertung antwortet die Bundesregierung verengt allein in Bezug auf einen Zuschlag zu Reisezeitänderungen, den es schon konzeptionell nicht gibt, und übergeht den sehr wohl vorgesehenen Zuschlag in der Nutzenberechnung.
    10. Frage 25: Die Bundesregierung stellt sich nicht der einfachen Logik, dass das Geld nur einmal ausgegeben werden kann und dass es für andere Projekte fehlt, wenn die 2. Stammstrecke die verfügbaren Mittel auf Jahre hinaus verbraucht.
  3. Bundesregierung/EBA haben in der NKF-Berechnung Mitschuld. Die Bundesregierung gesteht die Mitverantwortung der "Fachabteilungen der Zuwendungsgeber" und insbes. der "Bewilligungsbehörden" ein (Fragen 7, 16, wie auch 21, 22). D.h. im Falle grob unrichtiger NKF-Berechnung können sie belangt werden. Ist das vielleicht ein Grund, dass noch nie ein NKF unter 1 gerutscht ist (s.a. Frage 8)?
  4. Zukünftige Kostensteigerungen zu erwarten. Die Bundesregierung verweist auf die erfolgten Ausschreibungen und Submissionen als "besonders belastbare Grundlage" der Kostenermittlung (Fragen 9, 10, 12). Damit ist aber das größte Kostenrisiko aus den meist erheblichen Nachträgen eben noch nicht in belastbarer Weise erfasst, es wird vielmehr (Frage 13) mit Verweis auf eine frühere Anfrage[8] ausdrücklich die Behandlung solcher (zu erwartender) "Kostensteigerungen" beschrieben. In diesem Fall ist aber der NKF von 1,05 Makulatur. Den entsprechenden Erfahrungen mit Stuttgart 21 stellt sich die Bundesregierung nicht (Fragen 23, 24).

Willkür-Justiz in Sachen 2. Stammstrecke

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Auf die Anzeige von Sabine Leidig, der verkehrspolitischen Sprecherin der LINKEN im Bundestag vom 31.07.2017 (Leidig 2017), hat die Staatsanwaltschaft München I (StA) am 05.01.2018 die Klage abgewiesen (StA M 01.2018). Diese ist ein Musterbeispiel von Justizwillkür, indem gültige Rechtsgrundsätze einfach in Frage gestellt werden, wie anhand der Fehlabwägungen erkennbar ist, die Sabine Leidig in ihrer Beschwerde vom 05.03.2018 ausführt (Leidig 2018):

  1. Fehler in der NKU von StA nicht angezweifelt! Die StA zieht bemerkenswerterweise überhaupt nicht in Zweifel, dass die Nutzen-Kosten-Untersuchungen fehlerhaft sind. Es wird lediglich formaljuristisch argumentiert:
  2. Die GVFG-Subventionen seien keine Subventionen, obwohl das schon im Gesetzentwurf so stand und alle Politiker zur 2. Stammstrecke explizit von Wirtschaftsförderung sprechen.
  3. Kein Betrug möglich vor prüfpflichtiger Stelle? Eine Täuschung sei nicht möglich, wenn dies vor einer prüfpflichtigen Stelle wie dem Eisenbahn-Bundesamt (EBA) geschehe (wonach kein Sozial- und kein Kreditbetrug möglich wäre) bzw. im Arbeitskreis zusammengearbeitet worden war (dann wäre z.B. auch keine Täuschung von Geschäftspartnern möglich).
  4. Unterschlagene Pflichtangaben sind "Schweigen ohne Erklärungswert". Ein Nicht-Vorlegen eines notwendigen Formblattes, das mutmaßlich die entscheidenden Belege für die wesentlichen Fehlannahmen offenbart hätte, sei unerheblich, da dies nur ein "Schweigen ohne Erklärungswert" sei.
  5. Gemeinsame Interessen der Stammstreckenbetreiber unvorstellbar. Laut StA ist ein gemeinschaftliches Zusammenwirken von Intraplan, BMVI, EBA, StMI, DB Netz AG, DB Station&Service, MVV sei "weder vorstellbar" noch gäbe es Anzeichen für "kollusives Handeln". Dabei bestehen dieselben gemeinsamen Interessen wie etwa bei Stuttgart 21: Die Politik will das Projekt, das EBA hängt an der kurzen Leine der Politik, die Bahn will lukrative Tunnel-Planungspauschalen verdienen und der Gutachter behält seinen lukrativen Kunden, wenn er "gut-achtet" und nicht "schlecht-achtet".
  6. Täuschung durch gefälschte NKU unvorstellbar. Die StA schließt aus, dass die (vollkommen) unrichtige Nutzen-Kosten-Untersuchung die Parlamentarier getäuscht haben könnte!? Wie soll man getäuscht werden, wenn nicht so? Immerhin wird ein Nutzen vorgetäuscht, wo eine Schädigung des Münchner S-Bahn-Verkehrs vorliegt.


Dokumente

Engelh. 2018   Christoph Engelhardt, "Nichts gelernt! Mit Münchens 2. S-Bahn-Stammstrecke wiederholt sich das Desaster von Stuttgart 21", in: Lunapark21 extra 18/19 2018, S. 44-48 (pdf wikireal.org)
Vieregg 2018   Martin Vieregg, Vieregg-Rössler GmbH, "Konsequenzen der erforderlichen Umplanung am Hauptbahnhof für das Projekt »Zweite S-Bahn-Stammstrecke« in München", 18.06.2018 (pdf wikireal.org)
Leidig 2018   Sabine Leidig, "Beschwerde in der Anzeigensache gegen Dr. Volker Kefer u.a. wegen Subventionsbetruges und Betruges", 05.03.2018 (noch nicht im Internet veröffentlicht)
StA M 01.2018   Staatsanwaltschaft München I, "Anzeigensache gegen Dr. Volker Kefer wegen Subventionsbetruges", Abweisung der Anzeige, 05.01.2018 (noch nicht im Internet veröffentlicht)
Leidig 2017   Sabine Leidig, "Strafanzeige wegen Subventionsbetrug u.a." gegen die Verantwortlichen in der DB, ITP, Expertengruppe, Regierung von Oberbayern, BMVI, EBA (noch nicht im Internet veröffentlicht)
KA Linke 2017   Bundesregierung, Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, "Finanzierung der zweiten Stammstrecke in München mit Bundesmitteln über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz", 12.04.2017, BT-Drucksache 18/11924 (dipbt.bundestag.de, pdf dipbt.bundestag.de). S.a. die Anfrage vom 08.03.2017, BT-Drucksache 18/11520 (pdf dipbt.bundestag.de).
Vieregg 2016   Vieregg-Rössler GmbH, "Standardisierte Bewertung des zweiten S-Bahn-Tunnels München - Aktualisierung des Kostenstands" 04.11.2016 (pdf fw‑landtag.de)
STMWiVT 2009   Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, "Vergleichende Untersuchung 2. S-Bahn-Tunnel / Südring" (pdf 2.stammstrecke-muenchen.de, tunnelaktion.de), 47 Folien

Einzelnachweise

  1. a b 07.10.2016, badische-zeitung.de, "Bundesverkehrsminister war bei Herrenknecht"
  2. 01.04.2015, welt.de, "Diese Personen spenden der Politik die größten Summen"
  3. Parteispenden über 50.000 € - Jahr 2009, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages (bundestag.de)
  4. 07.10.2010, 22:15 Uhr, ZDF, "Maybrit Illner" (42. Minute, youtube)
  5. 26.10.2016, faz.net, "Seehofer baut sich ein Denkmal"
  6. 25.10.2016, BR Fernsehen, "Rundschau" 16:00 Uhr (Video youtu.be), Min. 15:04
  7. 15.05.2014, Zollern-Alb-Kurier, Veranstaltung zur Kommunalwahl
  8. a b 21.02.2017, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, "Anmeldung von Maßnahmen des Schienenpersonennahverkehrs zur Förderung mit Bundesmitteln über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz", BT-Durcksache 18/11268 (dipbt.bundestag.de, pdf dipbt.bundestag.de). S.a. Anfrage vom 03.02.2017 (pdf dipbt.bundestag.de)
  9. 23.12.2009, muenchner-forum.squarespace.com, "Die Südring-Debatte geht weiter: Mitte Dezember im Stadtrat, im Januar im Landtag"