Deutsche Bahn/Strategie
Ergebnis
Aktuell
26.04.2014 | Das Thema: "Sitzt bei der Deutschen Bahn die Autoindustrie am Steuer?" hatte hohen Zulauf auf der KOPFmachenKonferenz. Es wird auf dieser Seite fortgeführt. |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Ergebnis
- 2 Aktuell
- 3 Zusammenfassung
- 4 Basishypothesen
- 5 Wird die Deutsche Bahn AG wird durchgehend zum Wohl der Bahn und ihrer Kunden geführt?
- 6 Die Autoindustrie hat ein Motiv und die Möglichkeiten zur Einflussnahme
- 7 Auch die Politik hat einen Nutzen von den Fehlentscheidungen
- 8 Ist der Indizienbeweis einer Fremdsteuerung der Bahn möglich?
- 9 Dokumente
- 10 Einzelnachweise
Zusammenfassung
Der Marktanteil der Bahn stagniert auf niedrigem Niveau bei der Hälfte des Wertes der Schweiz. Die Investitionen fließen in schädliche Prestigeprojekte und nicht in Nutzen und Mehrverkehr bringende Ausbaumaßnahmen. Die Bahn fährt auf Verschleiß und leidet unter Unterkapazitäten. Die Pünktlichkeit sinkt dramatisch und die Preise steigen drastisch. Das Management erhält Boni nicht für den Erfolg beim Kunden, sondern für die Umsetzung zerstörerischer Großprojekte oder den Abbau von Infrastruktur. Das Großprojekt Stuttgart 21 erscheint symptomatisch für die systematische Zerstörung des deutschen Bahnverkehrs. Eine Fülle unverständlicher Unternehmensentscheidungen der DB AG und ebenso zweifelhafter Vorgaben aus der Politik nutzen mehr der Autoindustrie als der Bahn. Hinzu kommt der unübersehbare Einfluss dieser Industrie auf die Deutsche Bahn AG, überwiegend vermittelt durch die Bundesregierung. Dies ist der Anlass für die im Folgenden durchgeführte detaillierte Prüfung eines Lobby-Einflusses durch eine Indiziensammlung.
26.04.2014 | Kick-off für das Thema mit dem Workshop WS11 "Sitzt bei der Deutschen Bahn die Autoindustrie am Steuer?" in der KOPFmachenKonferenz, pdf-Dateien: Thesenpapier (367 kB, 8 Seiten), Foliensatz (1 MB, 14 Folien). |
Basishypothesen
Der geringe Erfolg der DB AG bei den Kunden kann verschiedenen hausgemachten Problemen und strategischen Fehlentscheidungen zugeschrieben werden. Es könnte dabei der Eindruck entstehen, dass primär nicht der Markterfolg im Fokus der Unternehmensstrategie steht, sondern das Unternehmen gewissermaßen mit angezogener Handbremse geführt wird. Es werden drei Basishypothesen zur Diskussion gestellt:
- Die Deutsche Bahn AG wird durchgehend zum Wohl der Bahn und ihrer Kunden geführt.
- Wesentliche strategische Entscheidungen der DB AG nutzen mehr der Autoindustrie als der Bahn, es entsteht der Verdacht, sie könnten von der Autoindustrie beeinflusst sein.
- Wesentliche Entscheidungen der DB AG sind von den Wünschen der Politik geprägt, wie dem öffentlichen Auftritt bei Großprojekten, der Gegenleistung für Parteispenden etwa aus der Bauwirtschaft oder der Gesichtswahrung ggü. früheren großtönenden Aussagen.
Wird die Deutsche Bahn AG wird durchgehend zum Wohl der Bahn und ihrer Kunden geführt?
Ein erster Blick auf Basishypothese 1 lässt diese wenig wahrscheinlich erscheinen, angesichts einer wenig erfolgreichen Bilanz. Die Deutsche Bahn (DB AG) hat sich in den 20 Jahren seit Beginn der Bahnreform nicht besonders erfolgreich entwickelt. In der Schweiz liegt der Marktanteil der Schiene mit rund 16 Prozent rund doppelt so hoch wie in Deutschland – und er konnte in den vergangenen zwei Jahrzehnten gehalten und leicht ausgebaut werden.[1] In Deutschland liegt der Marktanteil der Schiene mit 2013 rund 8 Prozent weiterhin auf dem niedrigen Niveau wie zu Beginn der Bahnreform. Untersucht man die Strukturen des jeweiligen Schienenverkehrs genauer, dann ergibt sich: In der Schweiz konnte der hohe Schienenverkehrsanteil im Nah und Fernverkehr weitgehend gleichmäßig gehalten werden; in Deutschland dagegen gab es im stark subventionierten Nahverkehr ein deutliches Wachstum; im Schienenpersonenfernverkehr dagegen stagnierte zwei Jahrzehnte lang die absolute Verkehrsleistung; relativ kam es zu einem deutlichen Rückgang des Marktanteils, weitgehend zugunsten der Inlandsflüge. Die angestrebte Verlagerung von Verkehr auf die Schiene gelang insbesondere im Personenverkehr nicht.
Der fehlende Erfolg am Markt wird ergänzt durch Verschlechterungen bei einer Reihe von Schlüsselkompetenzen.
Negativ sind vor allem zu verbuchen:
- Mehdornsches Sparprogramm: Engpässe bei Material und Personal
- Der Fernverkehr leidet unter Sicherheitsproblemen (Eschede, Achsen), Technikproblemen (Klimaanlagen), Kapazitätsproblemen (Zulieferung der Züge der neuen Generation).
- Im Regionalverkehr ist die Konkurrenz trotz Behinderungen durch die DB AG (vor allem DB Netz; Trassenpreise!) teils erfolgreicher. DB Regio verlor fast ein Drittel des Marktanteils im Schienenpersonennahverkehrs an konkurrierende Gesellschaften (die sich allerdings überwiegend auch in öffentlichem Eigentum befinden, sei es dem von Ländern/Kommunen oder dem von ausländischen staatlichen Eisenbahngesellschaften).
- Es gab einen deutlichen Rückgang der Pünktlichkeitsquote (wenn unabhängige Untersuchungen wie Stiftung Warentest und VDD zur Grundlage genommen werden).
- Die Preise im Schienenverkehr stiegen seit 1994 real um mindestens 50 Prozent (in Ostdeutschland um knapp 100 Prozent) (Knierim/Wolf 2014, S. 88 u. 92).
- Das Schienennetz wurde seit 1994 um 7000 km oder um 17 Prozent abgebaut.
- Das verbliebene Netz hat heute einen deutlich schlechtere Qualität, weil im gleichen Zeitraum (seit 1994) 50 Prozent aller Weichen und 82 Prozent der Gleisanschlüsse (Industriegleise) abgebaut wurden.
- Eine äußerst erfolgreiche Zuggattung, der InterRegio, wurde abgeschafft mit der Folge, dass heute ganze Regionen, wichtige Oberzentren und sogar drei Landeshauptstädte (Potsdam, Magdeburg und Schwerin) weitgehend vom Schienenfernverkehr abgehängt sind.
- Die große Mehrzahl der mehr als 5000 Bahnhöfe von DB Netz befinden sich in einem miserablen, abschreckenden Zustand; mehr als 1000 wurden seit 1994 verkauft.
Als Erfolge können gewertet werden:
- Die Regionalisierung (Verantwortung für Regionalverkehr bei den Ländern, mit dem genannten Erfolg des größeren Marktanteils im SPNV).
- Eine verbesserte Servicequalität in Teilsegmenten wie einzelne große Bahnhöfe, ICE im allgemeinen und Erste-Klasse-Service im besonderen (was aber zugleich kritisch zu werten ist, da diese Verbesserungen einer höchst spezifischen Klientel zugute kommt und die große Mehrheit der Bahn-Reisenden mit einem Abbau von Service konfrontiert ist.
Die Autoindustrie hat ein Motiv und die Möglichkeiten zur Einflussnahme
Für die Automobilindustrie würde ein hoher Marktanteilsgewinn der Bahn erhebliche Umsatzeinbußen bedeuten. Ein Umschwung der Bevölkerung zu einer vermehrten Nutzung des schienengebundenen öffentlichen Personenverkehrs mit Schlagzeilen wie: "Die Deutschen entdecken die Bahn und lassen ihr Auto zuhause" wäre auch ein Imageschaden für die deutsche Automobilindustrie. Vor allem aus ihren Umsatz- und Gewinninteressen hat die Autoindustrie ein Motiv für eine mögliche Einflussnahme auf den Unternehmenserfolg der DB AG und sie hat die Möglichkeiten dazu. Die nachfolgende Grafik skizziert die aus der öffentlichen Berichterstattung und den vorliegenden Recherchen bekannten Zusammenhänge.
Schematische Darstellung bekannter Zusammenhänge
Die Möglichkeit einer solch systematischen Einflussnahme ist gar nicht so weit hergeholt, wie ein Blick auf den "großen amerikanischen Schienenverkehrs-Skandal" zeigt (siehe zweites Thesenpapier von Winfried Wolf, "Snell-Report zur Zerstörung der Eisenbahn in den USA" und siehe wikipedia.de). Die US-amerikanische Automobilindustrie hatte den schienengebundenen Personenverkehr systematisch und mit hoher krimineller Energie durch verdeckte Operationen zurückgedrängt. Kritik wurde auch dort zunächst als Verschwörungstheorie abgetan, bis sie vor Gericht Bestätigung fand.
Auch die Politik hat einen Nutzen von den Fehlentscheidungen
Die Politik hat einen chronischen Hang zu Großprojekten, da sich Politiker beim Durchschneiden roter Bänder augenfällig als "Macher" inszenieren können. Außerdem bieten Großprojekte ein weites Betätigungsfeld für die Vernetzung von Politik und Wirtschaft. Bei Stuttgart 21 wird dies sichtbar in dem Engagement mehrerer Landespolitiker bei einer der profitierenden Immobilienfirmen, der ECE.[2] Oder auch durch die Parteispenden von Tunnelbohrer Martin Herrenknecht, der freimütig in einer Talkshow einräumt, dass er in der Folge – ob S21 gebaut wird oder nicht – einen im Vergleich zu seinen Parteispenden (damals 70.000 Euro, inzwischen 140.000 Euro) vielfachen Gewinn macht (mindestens rund 2,5 Mio. Euro).[3] Viele Politiker übernehmen nach dem Ausscheiden aus der Politik sogenannte "Versorgungsposten" in den Unternehmen, die von ihren Entscheidungen als Politiker profitieren.[4] Man nennt das auch den "Drehtüreffekt" (z.B. Gerhard Schröder bei Gazprom, Roland Koch bei Bilfinger). Ein gutes Dutzend ehemalige Verkehrspolitiker auf Landes- und Bundesebene trafen in ihrer aktiven Zeit als Politiker Entscheidungen pro DB AG und wurden nach ihrem Ausscheiden aus der Politik mit hoch dotierten DB-AB-Positionen belohnt: Ex-Verkehrsminister Klimmt, Ex-Wirtschafts- und Verkehrsminister Wiesheu, Ex-MdB Brunnhuber oder auch Ex-Gewerkschaftschef der Transnet Norbert Hansen etc. (... Quellen? ...)
Somit sprechen sich Politiker teils übermäßig deutlich für diese Großprojekte oder für Großvorhaben wie die Bahnprivatisierung (Börsengang) aus, im Gegensatz zu ihrem Amtseid, der sie zu ständiger Überprüfung ihrer Politik in Bezug auf das Gemeinwohl verpflichtet. In der Folge droht ihnen bei einer Kurskorrektur ein Gesichtsverlust. In Bezug auf die Deutsche Bahn AG haben sich Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Winfried Kretschmann beispielsweise ausgesprochen deutlich für das Projekt Stuttgart 21 ausgesprochen, was ihnen eine Kurskorrektur erschwert:
- Stuttgart 21 ist der Maßstab für die "Zukunftsfähigkeit Deutschlands".
- Bundeskanzlerin Angela Merkel am 15.09.2010 vor dem Bundestag.[5]
- Stuttgart 21 müsse kommen, sonst sei "Deutschland unregierbar" und "Europa sei in Gefahr", wenn dieses Großprojekt nicht komme, dann könne man keines mehr bauen.
- Bundeskanzlering Angela Merkel am 18.10.2010.[6]
- "Stuttgart 21 wird gebaut!"
- Ministerpräsident Winfried Kretschmann am 07.03.2013 im Landtag.[7]
- "Es entscheidet in der Demokratie ja nicht die Wahrheit über die Lüge, sondern die Mehrheit über die Minderheit."
- Ministerpräsident Kretschmann zu S21 am 18.03.2013 im Spiegel.[8]
Der Nutzen der Umsetzung eines möglicherweise als Irrweg erkannten Großprojekts zur Gesichtswahrung der Politik erscheint jedoch vergleichsweise gering. Schwerer wiegen mutmaßlich die handfesten milliardenschweren wirtschaftlichen Vorteile etwa der Autoindustrie aus einem geringen Markterfolg der Deutschen Bahn und ihr starker Einfluss und hohes finanzielles Einwirken auf die Politik durch Parteispenden, wie auch im Falle der Bauindustrie.
Ist der Indizienbeweis einer Fremdsteuerung der Bahn möglich?
Die wesentlichen strategischen Entscheidungen der Bahn und ihrer Eigentümer sollen vor dem Hintergrund der drei Basishypothesen diskutiert werden. Die Entscheidungen von Bundesregierung, Aufsichtsrate und Bahnvorstand werden als Indizien für die unterschiedlichen Thesen gewertet. Es wird abgeschätzt, inwieweit diese Indizien die Thesen stützen. Entscheidungen, die dem Unternehmenserfolg der Bahn schaden oder ihre Risiken erhöhen, sind dabei in der Regel für ihren Konkurrenten, die Automobilindustrie, positiv zu verbuchen und umgekehrt.
Es soll in einem späteren Stadium der Bewertung geklärt werden, ob an diesem Beispiel die Anwendung von Beweisregeln ähnlich einem Indizienbeweis in einem juristischen Verfahren erprobt werden kann (z.B. Beweisring).
Im Folgenden werden die Indizien gesammelt, die bei der Bewertung der Hypothesen hilfreich sein können. Der Anspruch besteht, alle relevanten Indizien und insbesondere die Gegenbeispiele zu nennen und zu bewerten. Sie werden zunächst grob in drei Stufen bewertet entsprechend Beweiskraft und Bedeutung. Die Verantwortlichen werden der jeweiligen Entscheidung zugeordnet. Alle möglichen Gegenargumente sollen gesammelt werden, die abschließende Bewertung pro Indiz gibt das Ergebnis der Gesamt-Abwägung der Sichtweisen wieder.
Management
Einfluss der Autoindustrie
Stuttgart 21
Sparpolitik, Unterlassene Investitionen
Weitere strategische Entscheidungen
Indizien | Bahn | Auto | Politik |
---|---|---|---|
[Bund, AR, Vorstand] Weitere Großprojekte mit bahntechnisch unsinnigen Trassierungen (hohe Scheitelhöhen, lange Tunnel) aber hoher Planungsvergütung. Oder anders ausgedrückt: Geld in unsinnige Projekte, statt in notwendigen Ausbau. | |||
[AR, Vorstand] Forcierung des Fernverkehrs (überwiegend nur in Konkurrenz zum Flugzeug), Vernachlässigung der Potentiale im Regionalverkehr. | |||
[AR, Vorstand] Investitionen in ausländische Unternehmen, die keine ausgesprochenen Synergien mit dem Kerngeschäft haben. Dadurch Entzug von Investitionsmitteln im Inland. | |||
[Vorstand] Der Unwillen zur Veröffentlichung von Daten und Fakten deutet auf Verdeckung von Hintergründen bei der DB AG (internationaler Vergleich?). | |||
[Bund] Bundesgesetz zur Regelung des Gemeinwohlorientierung des Fernverkehrs (§ 87e Abs. 4) fehlt seit Jahrzehnten. | |||
[... bitte korrigieren/ergänzen ...] |
Gegenbeispiele
Dokumente
Knierim/Wolf 2014 | Bernhard Knierim, Winfried Wolf, "Bitte umsteigen! 20 Jahre Bahnreform", 2014 |
PwC 2013 | PricewaterhouseCoopers, "Plausibilitätsbegutachtung im Auftrag des Aufsichtsrates zu Stuttgart 21" mit dem Titel "Vermerk – Zwischenergebnis DB AG", Jan. 2013 |
Einzelnachweise
- ↑ Modal-Split Schiene (Marktanteil der Bahn) in Deutschland 2011 rund 8 % konstant seit 1993, dagegen in der Schweiz 2011 rund 16 % mit einer relativen Zunahme von +23 % ggü. rund 13 % in 1993. Michael Woodt, "Die Bahnreform im Kontext nachhaltiger Verkehrspolitik: Ein Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz", S. 18, 20 (books.google.de)
- ↑ lobbypedia.de.
11.10.2010, handelsblatt.com, "Mappus, S-21 und die "Spätzle-Connection".
11.10.2010, handelsblatt.com, "CDU-Ministerin zieht Konsequenz aus Filz-Vorwurf".
19.10.2010, plusminus, (youtube.com)
27.10.2010, stuttgarter-zeitung.de, "Das nützliche Netzwerk des Herrn Otto" - ↑ 07.10.2010, 22:15 Uhr, ZDF, "Maybrit Illner"
- ↑ 12.01.2014, welt.de, "Deutschlands Ex-Spitzenpolitiker fallen weich"
- ↑ 15.09.2010, bundesregierung.de, "Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 15. September 2010 in Berlin".
17.09.2010, welt.de, "SPD lobt Rückzug des Sprechers von »Stuttgart 21«" - ↑ 18.10.2010, spiegel.de, "Die Mutbürger"
- ↑ 07.03.2013, stuttgarter-zeitung.de, "Kretschmann bekennt sich zum Weiterbau"
- ↑ 18.03.2013, spiegel.de, "Es gibt kein Zurück mehr"