Stuttgart 21/Kosten/Finanzierungsvertrag 2009

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Ergebnis des Faktenchecks: Als im Frühjahr 2009 der Finanzierungsvertrag geschlossen wurde, verschwieg die Deutsche Bahn AG ihr Wissen um höhere Kosten. Als Ende 2009 die Kündigungsfrist auslief, war dies auch der damaligen Landesregierung bekannt. Für die Öffentlichkeit und Finanzierungspartner wurden die Zahlen schöngerechnet, mutmaßlich ein Akt der Untreue an öffentlichen Geldern.


2009, zur Zeit des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21, waren der Bahn deutlich höhere Kosten bekannt als offiziell veröffentlicht.


Zusammenfassung

Der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 vom April 2009 wurde unter falschen Voraussetzungen geschlossen. Die Deutsche Bahn AG hatte ihr Wissen um höhere Kosten verschwiegen. Die überfällige Kostenerhöhung auf rund 5 Mrd. Euro wurde zum Ende des Jahres, als die Kündigungsfrist auslief, durch nicht gedeckte "Einsparpotenziale" von rund 900 Mio. Euro auf 4,1 Mrd. Euro schöngerechnet. Die tatsächlichen Kosten von rund 5 Mrd. Euro gingen damals sowohl aus den Detailplanungen der Bahn, als auch aus unabhängigen Berechnungen des Bundesrechnungshofes und der Landesregierung Baden-Württemberg hervor. Letztere hat ihr besseres Wissen um den gesprengten Kostendeckel insbesondere auch vor den anderen Finanzierungspartner bewusst zurückgehalten. Die Finanzierung von Stuttgart 21 begründet damit den Verdacht der Untreue an öffentlichen Geldern auch durch die Schädigung der Aktionäre der Deutschen Bahn AG.

Gemeinsam mit der Zurückhaltung des Wissens um die Kostensteigerung bei der Neubaustrecke (siehe unten) zeigt sich damit eine Systemaik in der Täuschung der Öffentlichkeit und Parlamente über die wahren Kosten des Gesamtprojekts.

Verheimlichen des Kostensprungs auf 5 Mrd. Euro

Die höheren Kosten waren der Bahn sehr genau bekannt

Stuttgarter Zeitung, 08.12.2010:[1] Die Bahn kannte Gesamtkosten von 5 Mrd. Euro, als sie den Finanzierungsvertrag auf einer Kostenbasis von rund 3 Mrd. Euro abschloss (Bild: St.Z.).
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Der Bahn-Vorstand wusste zum Zeitpunkt des Abschlusses des Finanzierungsvertrags auf Basis von Projektkosten von 3,076 Mrd. Euro schon sehr genau, dass die tatsächlichen Projektkosten viel höher, die reinen Baukosten bei 3,9271 Mrd. Euro und die Gesamtkosten später bei 5,055 Mrd. Euro liegen würden.[1][2][3] Diesen Wert hatte die Detailplanung schon Ende 2008 auf Basis aktualisierter Pläne und Preise erbracht.

Spätere Aktualisierungen der Projektkosten gingen vor den unsubstantiierten Einsparungs- und Optimierungspotenzialen (siehe unten) von einem Wert von 4.979,7 Mio. Euro aus (DB 10.12.09 S. 2 unten, S. 3, PwC 2013 Nr. 155). Dem Bahn-Management waren also auf vielen Wegen (s.a. Folgeabsatz) die Gesamtkosten von rund 5 Mrd. Euro aus der Detailplanung bekannt. Dennoch wurden diese den Finanzierungspartnern und der Öffentlichkeit vorenthalten.

Die höheren Kosten wurden unabhängig vom BRH bestätigt

Schon damals gab es die vertraulich den drei Staatssekretären der Bundesregierung im DB-Aufsichtsrat und den weiteren Bahn-Verantwortlichen bekannte Einschätzung des Bundesrechnungshofs (BRH) von 2008, wonach mit S 21-Projektkosten von 5,3 Milliarden Euro zu rechnen sei.[4] Auch deshalb fehlte die Rechtfertigung, die Projektkosten für Stuttgart 21 mit Werten unter 5 Milliarden Euro anzugeben.

Schönrechnen der Kosten um 900 Mio. Euro vor Ablauf der Kündigungsfrist

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Der Vorstand der Deutschen Bahn AG hat Ende 2009 vor Ablauf der Kündigungsfrist am 10.12.2009[5] eine erneute Kostensteigerung bekanntgegeben um 1 Milliarde Euro auf 4,1 Milliarden. Der Kostenpuffer auf den Kostendeckel von 4,55 Milliarden Euro war damit weitgehend aufgebraucht.

Kurz vor Verstreichen der Kündigungsfrist wurde bekannt, dass die Bahn intern schon mit 4,9 Mrd. Euro gerechnet hatte, aber Optimierungspotenziale in Höhe von rund 800 Mio. Euro identifiziert worden waren[6]

Die Einsparpotentiale von genauer 861 Millionen Euro beruhen nicht auf einer echten Korrektur der zuvor ermittelten Fakten, sondern auf nicht konkret hinterlegten Pauschalansätze:

  1. Einsparungen von 598 Mio. aufgrund bloßer "Markt - und Vergabeanalyse" wurden behauptet. Hier erscheint aber sicher, dass der bestinformierte Fachmann, der Projektleiter Hany Azer seine Berechnung keinesfalls dem angepasst hat, denn er hat auch später noch im März 2011 seine Einwände verstärkt durch die Analyse der "121 Chancen und Risiken".
  2. 294 Mio. durch "Chancen aus Optimierung der Bauwerke." Diese Einsparungen werden nur behauptet und zwar ausdrücklich "ohne vertiefte Planung". So sollten etwa entgegen den planungsrechtlichen Festlegungen die Tunneldicke vermindert und Querstollen als Rettungstunnel nur alle 1000 m statt der vom Eisenbahn-Bundesamt geforderten 500 m eingerichtet werden. Entsprechende Genehmigungen wurden weder erteilt noch jemals von der Bahn beantragt.[7] Das belegt den Täuschungsvorsatz.

Bei den angeblichen Einsparpotentialen handelte es sich also um klare Luftnummern, die helfen sollten, das Projekt gegen besseren Wissens durchzusetzen. Der Bahn-Vorstand hat dies zu verantworten. Schließlich hätten die Projektpartner gemäß § 2 des Finanzierungsvertrags bis Jahresende 2009 bei Überschreitung des Kostenrahmens von 4,526 Milliarden Euro ihr Kündigungsrecht ausüben dürfen.

Die Landesregierung wusste um die höheren Kosten

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Nicht nur bei der Neubaustrecke (siehe unten) wusste die damals CDU-geführte Landesregierung von Kostensteigerungen und beteiligte sich an der Täuschung des Bundestags und der Öffentlichkeit. Auch bei Stuttgart 21 setzte sich das fort. Laut einem internen Papier des baden-württembergischen Verkehrsministeriums von Anfang 2009 wusste das Ministerium in den Wochen vor Abschluss der Finanzierungsvereinbarung bereits von Baukosten von 4,066 Milliarden Euro. Zuzüglich 809,134 Millionen Euro Planungskosten ergab sich damit ein Gesamtbetrag von 4.875,134 Millionen Euro.[8] Dieser Kostenstand war auf Basis einer nahezu vollständig abgeschlossenen Entwurfsplanung entstanden und die Deutsche Bahn wusste demnach bereits Ende 2008 von Kostensteigerungen in Höhe von bis zu 142 Prozent in Tunnelabschnitten von Stuttgart 21.

Im Herbst 2009 errechneten Controller des Innenministeriums anhand von Bahnunterlagen zu drei Bauabschnitten (Hauptbahnhof, Fildertunnel, Tunnel Obertürkheim) Kosten zwischen 4,9 und 6,5 Milliarden Euro für das Projekt. Als wahrscheinlich galten demnach Kosten von 5,5 Milliarden Euro, bei einer Preissteigerungsrate von 2,5 Prozent pro Jahr für Personal und Material rechneten die Beamten von 6,5 Milliarden Euro. Laut einem Vermerk solle "Auf Wunsch des Herrn MP" (Ministerpräsident Oettinger) von einer "neuen Kostenberechnung abgesehen werden". Oettinger habe knapp einen Monat später, am 12. November 2009, sich dafür ausgesprochen, Berechnungen, die über der Kostengrenze von 4,5 Milliarden Euro liegen, nicht "aktiv" in die Öffentlichkeit zu tragen.[9] Vor der Öffentlichkeit, den Finanzierungspartnern und dem Parlament wurde das bessere Wissen um die höheren Kosten bewusst verschwiegen.

Die Plausibilisierung der Wirtschaftsprüfer in der Schlichtung trägt nicht

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→ Hauptartikel: Kosten/Schlichtung 2010

In der Faktenschlichtung im Herbst 2010 sollte die Kostenrechnung des DB-Vorstand mit den 4,1 Milliarden Gesamtkosten und rund 1,5 Milliarden Ausstiegskosten von Wirtschaftsprüfern plausibilisiert werden. Sie lieferten lediglich eine Plausibilitätsprüfung von Angaben der Bahn, die Grunddaten wurden nicht geprüft. Methodisch unhaltbar wurden Chancen ganz und Risiken gar nicht in die Bewertung übernommen. Diese Bewertung durch die Wirtschaftsprüfer ist eher ein Nachweis einer gezielten Täuschung durch die unhaltbaren "Optimierungspotenziale" als eine Entkräftung dieses Vorwurfs.

Strafanzeige gegen den Bahn-Vorstand und -Aufsichtsrat

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→ Hauptartikel: Kosten/Aufsichtsrat 2013#Strafanzeige

Die Vorgänge um die Täuschung der Öffentlichkeit und Finanzierungspartner über die tatsächlichen Kosten von Stuttgart 21 führten zu einer Strafanzeige gegen Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG. Diese betriff auch insbesondere die Vorenthaltung der dem Vorstand bekannten höheren Kosten von S21 im Jahr 2009 gegenüber den Projektpartnern und Aktionärsvertretern und die stattdessen erfolgte Definition nicht belastbarer "Einsparpotenziale". Die "Plausibilisierung" letzterer durch die Wirtschaftsprüfer in der Faktenschlichtung 2010 liefert vielmehr die Beweise, dass diese Schönrechnung unhaltbar ist, als dass die Diskussion in der Schlichtung als eine Rechtfertigung angesehen werden könnte.

Parallele: Verheimlichung der Kostensteigerung der Neubaustrecke

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Die Deutsche Bahn AG hat in Absprache mit der damaligen Landesregierung auch die höheren Kosten der Neubaustrecke bewusst dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit verschwiegen.[10] Spätestens seit dem 15. Oktober 2002 wusste die DB, dass die Neubaustrecke mindestens 2,3 Milliarden Euro – inklusive Preissteigerungen sogar 2,6 Milliarden – kosten würde.[11] Doch Steuerzahler und Bundestag ließ man weiter im Glauben, das Projekt sei für 1,35 Milliarden Euro zu haben. Mit dieser Summe steht die Trasse auch noch im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2003, der am 02.07.2003 von der damaligen rotgrünen Bundesregierung beschlossen wurde. Das Parlament verabschiedete danach das zugehörige Bundesschienenwege-Ausbaugesetz ebenfalls in der Annahme, die ICE-Strecke werde kaum mehr als 1,5 Milliarden Euro kosten.

Die wahren Kosten wurden absichtlich verschwiegen, um das Projekt politisch durchzusetzen. Am 4. Juni 2003 beriet Eckart Fricke, der DB-Konzernbeauftragte für Baden-Württemberg, mit Vertretern des damals von der CDU geführten Verkehrsministeriums Baden-Württemberg die "Kostenfortschreibung und Vorfinanzierungsproblematik" und offenbarte, dass die Neubaustrecke viel teurer werde. Im dreiseitigen DB-Protokoll der vertraulichen Sitzung heißt es, dass sich eine "Kostenerhöhung der ICE-Trasse um ca. 1100 Mio. Euro auf ca. 2600 Mio. Euro" ergeben habe. Damit wäre das Projekt womöglich aus der Endfassung des Plans gestrichen worden. Die Runde verständigte sich darauf, die real veranschlagten Kosten der Öffentlichkeit und dem Parlament vorzuenthalten. Im Protokoll heißt es auf S. 2: "Herr Fricke teilt mit, dass die NBS im Referentenentwurf zur Fortschreibung des BVWP im vordringlichen Bedarf eingestellt worden ist. Bis zur endgültigen Verabschiedung dürfen daher keine neuen Baukosten kommuniziert werden, um keine unzeitgemäße Diskussion auszulösen." Erst im Juli 2010 gaben der damalige Regierungschef Stefan Mappus (CDU) und Bahn-Chef Rüdiger Grube bekannt, dass die Baukosten der ICE-Trasse um fast 900 Millionen auf 2,86 Milliarden Euro gestiegen seien.

Einzelnachweise

Die oben (in Klammern) angeführten Referenzen finden sich unter → Stuttgart 21/Kosten/Dokumente.

  1. a b 08.12.2010, stuttgarter-zeitung.de, "Bahn behielt Wissen für sich" (Kostengrafik pdf content.stuttgarter-zeitung.de)
  2. 08.12.2010, stuttgarter-nachrichten.de, "Bahn hielt wahre Kosten ein Jahr unter Verschluss"
  3. 21.03.2011, stuttgarter-zeitung.de, "Eine grobe Rechnung"
  4. 15.07.2011, stuttgarter-zeitung.de, "Rechnungshof sieht seine Kritik bestätigt"
  5. 03.12.2012, stuttgarter-nachrichten.de, "Bahnprojekt durchbricht die Finanzierungsgrenze"
  6. 12.12.2009, Stuttgarter Zeitung (print), S. 23, "Grube: Wir bauen Tunnels und keine Bunker" (archive.org)
  7. 11.10.2010, spiegel.de, "Ende der Mogelei"
  8. 16.07.2011, fr-online.de, Thomas Wüpper: S21: "Mit deutlich höheren Kosten ist zu rechnen"
  9. 07.11.2011, spiegel.de, "Schwäbische Rechnung" (Der Spiegel Nr. 45 2011, S. 42 f.)
  10. 05.07.2011, stuttgarter-zeitung.de, "NBS - Bahn enthielt Bundestag Mehrkosten vor"
  11. 15.10.2002, 15-seitige Analyse der DB Projekte Süd GmbH (siehe zuvor St.Z. vom 05.07.2011): Unter mehr als drei Dutzend Einzelposten listet das Papier unter anderem 470 Millionen Euro höhere Baukosten auf. Darunter fallen 79 Millionen Euro höhere Erddeponiekosten für die Tunnelausbrüche und 72 Millionen höhere Planungskosten.
    Eine Grafik der DB Netz AG vom 11. November 2002 weist die Gesamtkosten der Neubaustrecke mit "circa 2600 Mio. Euro" aus.