Stuttgart 21/Stresstest/Unrealistische Parameter

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Unrealistische Parameter
NoGo.png Ex.png Unterdurchschnittliche Verspätungsannahmen
NoGo.png Unkorrelierte Verspätungsstatistik
NoGo.png Urverspätungen nicht im Verspätungsaufbau
NoGo.png Haltezeitverkürzung am Einbruchsort
NoGo.png Haltezeitverkürzung unrealistisch NoGo.png RailSys Modellunschärfe NoGo.png RailSys Haltezeitverkürzung


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Unterdurchschnittliche Verspätungsannahmen

Geringer Ermessensspielraum zur Auswahl der Verspätungsparameter

Richtlinie 405 schreibt vor, zu prüfen, welche Verspätungsdaten geeigneterweise der Simulation zugrundegelegt werden. Diese Prüfung hat beim Stresstest entweder nicht stattgefunden oder sie ist – ebenfalls entgegen der Richtlinie – nicht dokumentiert worden. Gewählt wurden im Stresstest die Näherungswerte aus der Richtlinie. Istwerte oder Projektionen für die Zukunft wären weit herausfordernde Vorgaben gewesen.

Die Untersuchung des Ist-Zustands ist vorgeschrieben:

"Um Eingangsfehler zu vermeiden, ist eine gründliche Analyse des Ist-Zustandes erforderlich. Die entsprechenden Verfahren sind in den 405.0302 und 405.0402 beschrieben." (Richtlinie 405.0202 S. 1 / Bl. 151)

Schon in der "Auftragsklärung" zählt zu den "mindestens erforderlichen Unterlagen":

"Verspätungsdaten (aus LEIDIS oder anderen Programmen), Pünktlichkeitsangaben für Soll und Ist." (Richtlinie 405.0201A01 S. 3 / Bl. 145)

Richtlinie 405.0206 "Verspätungsanalyse für eisenbahnbetriebswissenschaftliche Untersuchungen" (Bl. 242 ff) regelt die Erfassung der Ist-Daten im Detail:

"Die Daten werden für folgende Zwecke benötigt:
Ermittlung von Eingangsparametern für Einbruchsverspätungen bei Modellen
Vergleich von in Modellen ermittelten Pünktlichkeitswerten mit dem Ist-Zustand [...]
Bei Kapazitätsuntersuchungen werden Daten zu Verspätungsursachen benötigt für
• die unmittelbare Ableitung von Problemlösungen gemäß der Aufgabenstellung und
• die Ableitung praxisnaher Eingangsparameter für Urverspätungen bei Modellierungen"
(Richtlinie 405.0206 S. 9 / Bl. 249)

Die Verwendung von Näherungswerte erlaubt die Richtlinie lediglich für "perspektivische Untersuchungen" oder wenn eine Anwendung nicht "nicht sinnvoll" erscheint (Richtlinie 405.0201 S. 6 / Bl. 138). Präzise gefasst wird dies an anderer Stelle:

"Die Störungsparameter werden von den Tools in der Regel als statistische Negativ-Exponentialverteilungen verarbeit und beschrieben durch: • die mittlere Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Verspätungen (pVe, pVu) und • die mittlere Verspätung der verspäteten Züge (tVein, tVu) für Zugfamilien oder Einzelzüge. Einige Tools können auch andere Verteilungen verarbeiten. Hierzu wird auf die jeweiligen Handbücher verwiesen. Die vorgegebenen Werte der Störungsparameter sollen für den betrachteten Zustand möglichst realistisch sein. Es bietet sich daher insbesondere für Untersuchungen des Istzustandes an, aus vorliegenden aktuellen Verspätungsdaten abgeleitete Parameter (vgl. Abs. (3)) zu verwenden. Bei Untersuchungen künftiger Zustände muss geprüft werden, ob die Übertragung der derzeitigen Verspätungsverhältnisse auf die Zukunft gerechtfertigt ist. Ggf. sind begründete Modifizierungen vorzunehmen. Sofern keine genaueren Angaben vorliegen wird empfohlen, die in 405.0204A03 enthaltenen Näherungswerte zu verwenden." (Richtlinie 405.0204 S. 12 / Bl. 210)

NoGo.png Ex.png Es ist nicht erkennbar, in wieweit Stuttgart 21 von diesen Vorgaben abweicht, so dass eine Verwendung der Ist-Daten ausscheidet. Statt veraltete deutlich zu optimistische Standardwerte einzusetzen, sollte man von Ist-Daten inkl. einer "begründeten Modifizierung" ausgehen:

  • Mit der Darstellung der Bahn im Stresstest wird für Deutschland das Planungsziel des Verspätungsabbaus aufgegeben und ein mittlerer Verspätungsaufbau bis zu 1 Minute sowohl in den Zulauf- als auch in den Ablaufstrecken als "wirtschaftlich optimal" angestrebt.
  • Es wird ein Bahnhof gebaut, der eine um 40 % bis 80 % höhere Bahnsteiggleisbelegungsrate hat, als die gleich groß dimensionierten höchstbelasteten und überlasteten Großbahnhöfe in Deutschland.
  • Die geplanten 13 Doppelbelegungen pro Stunde sind Rekord, jeder zweite Zug hält in einer Doppelbelegung.

Da nicht ein einziger Aspekt des Stresstests zu Stuttgart 21 geeignet ist, das heutige Verspätungsniveau zu erniedrigen, sondern ausschließlich Belastungen hinzukommen, wäre es das Mindeste, vom heutigen Verspätungsniveau auszugehen, wenn nicht, deutlich erhöhte Werte zu wählen.

Näherungswerte veraltet und noch dazu unzulässig gekappt

Die Grundparameter der Verspätungsstatistik entsprechen den Näherungswerten aus der Richtlinie. Die im Stresstest zusätzlich eingeführten gravierenden Kappungen der hohen Verspätungswerte sind hier der Richtlinienverstoß (da auch von der Bahn undokumentiert und unbegründet) und führen zu einer der quantitativ größten Verfälschungen des Tests.

Selbst ohne Kappung geht die Richtlinie seit Anfang 2008 davon aus, dass die Näherungswerte veraltet sind, eine Aktualisierung war angekündigt worden (Richtlinie 405.0204A03 S. 2 / Bl. 226 Fußnote 1). Sie empfiehlt eindringlich die Verwendung von Istwerten:

"Für die Eichung der mit Simulationstools ermittelten Kenngrößen ist die Untersuchung des Ist-Zustandes als Vergleichsmaßstab hilfreich und deshalb zu empfehlen, da Qualitätsmaßstäbe noch nicht voll abgesichert sind bzw. sich noch in Entwicklung befinden." (Richtlinie 405.0202 S. 13 / Bl. 163)
'Für die "Ermittlung der Betriebsqualität" mit Hilfe von Simulationsmethoden ist der "Qualitätsmaßstab vorläufig." (Richtlinie 405.0202 S. 17 / Bl. 167 f)

Diese Prüfung der Realitätsnähe hat die Bahn nicht dargestellt. Auch die SMA hat nicht geprüft, ob die Einbruchsverspätungen und Haltezeitverlängerungen realistisch abgebildet sind. Sie prüfte lediglich, inwieweit Verspätungsverläufe aus den Ist-Daten denen der Simulation ähneln (Audit SI-05 S. 5 / Bl. 160 ff). Die SMA zieht hier den Schluss:

"Die Verspätungswerte aus dem aktuellen Betrieb sind verglichen mit den Simulationsergebnissen jedoch durchwegs auf einem tieferen Niveau und liegen damit auf der "sicheren" Seite: d.h. es treten in der Simulation grössere Abweichungen von der Planzeit auf, als sie im heutigen Betrieb zu beobachten sind." (Audit SI-05 S. 13 / Bl. 168)

Dass das Verspätungsniveau in der Stresstest-Simulation höher als in der Realität ist, sollte uns nicht unbedingt beruhigen. Schließlich soll der neue Bahnhof gebaut werden um eine gesteigertes Verkehrsaufkommen mit guter Betriebsqualität abzufertigen. Aber insbesondere sagt der Vergleich der Ergebnisse des Stresstests mit den realen Daten nichts darüber aus, ob die Eingangsgrößen für den Stresstest realistisch gewählt wurden. Was wäre – und es hat den Anschein, dass dies unbedingt der Fall ist – wenn zu optimistische Eingangsparameter gewählt wurden und sich dennoch eine Verschlechterung der Qualität ergibt? Die von der SMA gemachte Beobachtung beweist überhaupt nicht, dass man mit den Annahmen des Stresstests "auf der sicheren Seite" ist.

Näherungswerte selbst ohne Kappung unrealistisch

Verkehrsart Pünktlichkeits-
grenze
Pünktlich-
keitsgrad
Stresstest
Pünktlich-
keitsgrad
Realität
Quelle
(für die Realitätswerte)
Fernverkehr 11 Minuten 95 % 84 % (Geschäftsbericht DB Fernverkehr 2010)
Nahverkehr 6 Minuten 84 % 76 %, 86 % (Stiftung Warentest 02/2008, 09/2011)
S-Bahn 3 Minuten 94 % 82,3 % (2009 Qualitätsflyer Verband Region Stuttgart)[1]
Vergleich der Pünktlichkeitsgrade im Stresstest mit der Praxis.

Selbst die ungekappte Verspätungsverteilung ist im Vergleich mit der heutigen Realität viel zu optimistisch gewählt. Solche Fehler in den Modellannahmen sind der Grund, dass nach Richtlinie 405 auch die Simulation im Vergleich von Alternativen durchgeführt werden sollte, im Stresstest bietet sich hierfür der bestehende Kopfbahnhof an. Dann betreffen sämtliche Fehlannahmen beide Alternativen, d.h. beide Simulationen sind annähernd gleich falsch und das Ergebnis der Simulation liegt dann vor allem im relativen Abstand der Alternativen.

NoGo.png Insbesondere im Fernverkehr und bei der S-Bahn sind die Verspätungsannahmen extrem optimisch. Auf diese Weise wird kein Stress abgebildet, sondern Schönwetter.

Verspätungen künftig geringer?

Es könnte argumentiert werden, dass zukünftig Verspätungen geringer ausfallen als heute. Dann müsste die Bahn aber in den Ausbau von Taktfahrplänen, in Entlastung überlasteter Strecken, etc. investieren. Mit Stuttgart 21 wird bestenfalls ein "Premium"-Bahnhof durch einen nominell "wirtschaftlich optimalen" und wie im Fazit festgestellt wird real vollkommen unfahrbaren Bahnhof ersetzt. Selbst nominell werden mit Stuttgart 21 Milliarden in eine Verschlechterung der Betriebsqualität investiert, die andernorts für Entlastungsmaßnahmen fehlen. Die Aktualisierung der Verspätungsstatistik auf heute reale Werte ist also die optimistische Variante, eine Verschlechterung müsste für "perspektivische" Untersuchungen unterstellt werden.

Am Ende doch ein Richtlinienverstoß?

Für den Stresstest zu Stuttgart 21, ohne die vergleichende Simulation des Kopfbahnhofs, trägt die zu optimistisch angenommene Verspätungsstatistik voll zur Verfälschung des Ergebnisses bei. Einmal mehr zeigt sich, welche Stuttgart 21/Stresstest/Richtlinienverstöße#Qualität der Bahn-Richtlinien hohe Qualität die Bahn-Richtlinien haben. Die vorgeschriebene Prüfung der geeigneten Verspätungen und die Simulation einer Alternative, der des Kopfbahnhofs, hätten sicher geholfen, diese Fehler im Stresstest zu vermeiden.

Unkorrelierte Verspätungsstatistik

Häufigkeitsverteilung der Stunden-Pünktlichkeiten
Häufigkeitsverteilung der Stunden-Pünktlichkeiten

Die Verspätungen in der Simulation werden per Zufallszahl bestimmt, d.h. sie werden als voneinander vollkommen unabhängige Zufallsereignisse simuliert. Daraus ergibt sich beispielsweise über die Stunden einer Woche eine relativ gleichmäßige Verteilung der Verspätungs-Ereignisse. In der Praxis stehen jedoch Ereignisse hinter den Störungen, die oft mehrere Züge betreffen (Unwetter, Stellwerksstörung, Suizid). Auch findet in der Praxis über Folgeverspätungen eine gewisse Verstärkung des Verspätungsgeschehens statt. Es ergibt sich dadurch eine deutlich höhere Häufigkeit von Stunden mit einer hohen Anzahl von verspäteten Zügen. Diese Ereignisse sind die Herausforderungen für die Bahn-Infrastruktur.

Der Vergleich der Simulation auf Basis des Railsys-Algorithmus mit der Messung des realen Verspätungsgeschehens zeigt genau diesen Unterschied im Beispiel für 84 % Pünktlichkeitsgrad, die auch der gemessenen Pünktlichkeit entsprachen. Die Extremsituationen von Stunden, in denen auch mal nur 60 bis 70 % Pünktlichkeit erreicht werden, ist bei der stochastischen Simulation teilweise um Faktoren geringer als in der Realität. Mit zunehmender Zugzahl im Auswertezeitraum 'verschlankt' sich die Zufallsverteilung und die Untertreibung der Realität bei den Extremereignissen wird tendenziell noch größer. Dass die Zufallsverteilung auch von den sehr pünktlichen Stunden weniger produziert, fällt dabei kaum ins Gewicht, da die Leistungsfähigkeit eines Bahnhofs praktisch nur bei dem Betrieb mit vielen Verspätungen herausgefordert wird, und diese Ereignisse sind in der stochastischen Simulation extrem selten.

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Auswertung noch näher beschreiben!

Gerade das Zusammentreffen von pünktlichen und unpünktlichen Züge führt zu Trassenkonflikten. Diese Situation kommt bei der Praxisverteilung wesentlich häufiger vor, als in der Zufallsverteilung. Sind alle Züge gleichmäßig verspätet, so klappt wieder die fahrplangemäße Koordination. Das Verspätungsniveau bleibt konstant und es kann eher eine wirtschaftlich optimale Betriebsqualität ergeben, ohne daß die Infrastruktur wirklich getestet wurde.

Urverspätungen erscheinen nicht im Verspätungsaufbau

Das Hauptkapitel Richtlinienverstöße zeigt wie hoch die Qualität der Richtlinie 405 in Bezug auf die Vorgaben zur Durchführung einer regelrechten bahnbetriebswissenschaftlichen Simulation ist. Nahezu jede der unrealistischen 'Anpassungen' in der Simulation sind auch als Richtlinienverstoß zu werten. Richtlinie 405 wäre evtl. dafür zu kritisieren, dass sie bezüglich der Verwendung realistischer Verspätungswerte keine noch strengeren Vorgaben macht. Aber in einem Punkt scheint die Richtlinie 405 tatsächlich systematisch falsch zu liegen:

Wenn sie (als Behelfslösung) die Berücksichtigung von auf der Strecke entstehenden Urverspätungen in Form von Haltezeitverlängerungen zulässt, müssten eigentlich für diesen Fall Vorgaben für die Ermittlung des Verspätungsauf- oder -abbaus getroffen werden, andernfalls entsteht ein systematischer Fehler. Am Beispiel des Stresstests:

Fernverkehrszüge erhalten im Schnitt pro Halt nominell 12 Sekunden Haltezeitverlängerung, tatsächlich nur 11 Sekunden, im Regionalverkehrszüge nominell 6 Sekunden, tatsächlich 5,7. Dieser Verspätungsaufbau, der überwiegend auf der Strecke entsteht, wird der Haltezeit zugeschlagen, die Züge fahren entsprechend später los. Dieser Zeitbetrag verfälscht die Auswertung, da er dem Verspätungsaufbau in den Ablaufstrecken fehlt, andererseits verringert er das Ausmaß der tatsächlichen mittleren Haltzezeitverkürzung, die dadurch harmloser erscheint.

Eine Korrektur muss für diesen Effekt vorgenommen werden. Die Haltezeitverlängerung im aktuellen Modell berücksichtigt alle Urverspätungen, sowohl die auf der Strecke wie auch die im Bahnhof entstehenden. Quantitativ exakt bewertbar ist dieser Effekt erst, wenn bekannt ist, in welchem Verhältnis die beiden Größen stehen, was von der Richtlinie aber nicht angegeben wird.

Gleiches gilt im Zulauf. Dort hatte der Lenkungskreis im Fall der Einbruchs-Bahnhöfe das Problem erkannt und festgelegt, dass die Haltezeitverkürzung in der Einbruchs-Betriebsstelle nicht vom Verspätungsniveau abgezogen werden kann. Dass auch dies dennoch im Stresstest praktiziert wurde, ist ein ein weiterer Richtlinienverstoß, der von der SMA erkannt wurde, aber erst im finalen Simulationslauf korrigiert wurde.

Haltezeitverkürzung am Einbruchsort

Im Lenkungskreis war beschlossen worden, dass die Einbruchsverspätungen "in vollem Umfang" zur Wirkung kommen sollen. Tatsächlich ignorierte die Bahn diese Anforderungen:

  • In der Simulation wurde im Gegensatz zu dieser Forderung ein Verspätungsabbau durch Haltezeitverkürzungen in den Einbruchsbahnhöfen zugelassen, was laut Lenkungskreisbeschluss unzulässig war (die Planhaltezeiten sollten hier den Mindesthaltezeiten entsprechen).
  • In den Auswertungen (Doku. S. 67, 112, 132, Audit Bl. 183, Bl. 195) wurde dann die Verspätungsveränderung auch noch ab der Ankunft gerechnet, so dass diese in vollem Umfang um die Haltezeitverkürzung im Einbruchsbahnhof verfälschend und unzulässig reduziert wird.

Der Auditor weist auf diese Verstöße hin, jedoch ohne deshalb sein Testat zu versagen. Der signifikante Effekt wird zu relativieren versucht. Die Wirkung liegt mutmaßlich über der von SMA angegebenen Sekunde, was aber noch überprüft werden muss. Und selbst diese Sekunde entspräche schon einem Viertel Zug:

"Der Umgang mit Ur- und Einbruchsverspätungen sowie die Festlegung der Haltezeitverlängerungen als einziger Urverspätung wurde am 5. Mai 2011 im Lenkungskreis Stresstest in Karlsruhe beschlossen." (Audit SI-05 S. 1 / Bl. 156) Noch als Teil der Beschlüsse: "Die Einbruchsverspätungen sollen in vollem Umfang im System wirken können. Deswegen müssen an den Systemgrenzen die Planhaltezeiten den Mindesthaltezeiten entsprechen. Für die Auswertung der Simulationsergebnisse sind die Mittelwerte der Verspätungen bei der Abfahrt zu verwenden." (Audit SI-05 S. 3 / Bl. 158)
"Auf diesem Hintergrund ist es auch tolerabel, dass bereits in den Einbruchsorten durch die im Verhältnis zur Planhaltezeit geringere Mindesthaltezeit (trotz Forderung identischer Plan- und Mindesthaltezeiten) Verspätungen abgebaut werden. Für das Gesamtergebnis ist das von geringer Relevanz, falls – wie vorgeschlagen – die Abfahrtsverspätungen am Einbruchsort in die Auswertung eingehen." (Audit SI-05 S. 15 / Bl. 170)
"Es ist zu bemerken, dass für die Bestimmung der Betriebsqualität die Ankunft an der Einbruchsbetriebstelle herangezogen wird. Dies entspricht nicht der Forderung gemäß "Steckbrief SI-05 Ur- und Einbruchsverspätungen", dass die Abfahrt an der Einbruchsbetriebstelle zu verwenden ist (der absolute Unterschied beträgt bloss 1 Sekunde, weitere Effekte im Zulauf nach Stuttgart Hbf sind nicht abgeschätzt)." (Audit SI-07 S. 5 / Bl. 179)

NoGo.png Die Bahn hat sich über diese Maßgaben hinweggesetzt, der Fehler, der dabei gemacht wird, ist ein doppelter: (1) Indem die Haltezeitverkürzung im Einbruchsbahnhof voll zum Verspätungsabbau zugelassen wird, sinkt das Verspätungsniveau signifikant. (Gegenüber der mittleren Einbruchsverspätung aus der Verspätungsverteilung von rund 2,5 Minuten liegen viele Verspätungsniveaus im Einbruchsbereich bei ± 1,5 Minuten.) (2) Indem der Verspätungsabbau aber Ankunft Einbruchsbahnhof gemessen wird, reduziert sich der Verspätungsaufbau zusätzlich um den Betrag der Haltezeitverkürzung. Dieser Fehler entsteht auf gleiche Weise, wie der zuvor genannte bei den Urverspätungen, die nicht im Verspätungsaufbau erscheinen.

Dieser Fehler wurde offenbar weitgehend in der Sensitivitätsbetrachtung "Finaler Simulationslauf" korrigiert (Anpassungen FS S. 5). Diese ersetzt jedoch, da nur einzelne Parameter korrigiert wurden und nur 3 Tage simuliert wurden, keine Vollsimulation über 100 Tage unter gleichzeitiger Korrektur auch sämtlicher anderer Parameter auf realistische Werte.

Baustelle.png
Überprüfung, ob die Haltezeitverkürzung in den Einbruchsbahnhöfen tatsächlich nur 1 Sekunde Wirkung hat.

Haltezeitverkürzung unrealistisch

Ort Verkehrsart Halteart Planhaltezeit Mindesthaltezeit
Stuttgart Hbf Fernverkehr Unterwegshalt / Starthalt 4 Min. 2,5 Min.
Stuttgart Hbf Fernverkehr Endhalt 5 Min. 3,5 Min.
Stuttgart Hbf Nahverkehr Unterwegshalt / Starthalt 2 Min. 1,5 Min.
Stuttgart Hbf Nahverkehr Endhalt 4 Min. 2,5 Min.
Längere Halte Nahverkehr Unterwegshalt 1 Min. 45 Sek.
Übrige Halte Fernverkehr Unterwegshalt 2 Min. 1,5 Min.
Übrige Halte Nahverkehr Unterwegshalt 45 Sek. 30 Sek.
Stuttgart Hbf S-Bahn Unterwegshalt 30 Sek. 30 Sek.
Alle Halte S-Bahn S-Bahn Unterwegshalt 30 Sek. 20 Sek.
Übersicht der Plan- und der Mindesthaltezeiten im Stresstest (Audit FP-03 S. 2 / Bl. 68)

Der Stresstest geht davon aus, dass im Verspätungsfall die Haltezeit der Züge bis auf eine Mindesthaltezeit reduziert werden kann. Diese wesentliche Annahme ist nicht in der Stresstest-Dokumentation dargestellt. Ebensowenig wie die Mindesthaltezeiten selbst oder andere Annahmen zum Verspätungsabbau.

Erst in den Prämissengesprächen wurden die Bedingungen des Verspätungsabbaus offenbart, dargestellt ist das Thema Haltezeiten im Audit (Audit FP-03 S. 1 / Bl. 67 ff). So auch die nebenstehende Tabelle.

Die Planhaltezeiten werden im Fahrplan der Grundversion noch in einigen Fällen unterschritten (Doku. Teil 1 S. 26). Angeblich sind sie in der zuletzt gerechneten Sensitivität zumindest im Hauptbahnhof beseitigt (Audit SI-08 S. 5 / Bl. 190 f). Unbekannt ist welche Pufferzeitverletzungen dadurch hinzukamen.

Wesentlich in dieser Tabelle sind die Mindesthaltezeiten, auf die in der Simulation die Haltezeit verkürzt wird, um Verspätungen abzubauen. Es stellt sich die Frage, ist es realistisch, anzunehmen, dass zu Stoßzeiten der Fahrgastwechsel im Fernverkehr nach 2,5 Minuten, im Regionalverkehr nach 1,5 Minuten und bei der S-Bahn nach 30 Sekunden abgeschlossen ist?

Werner Stohler, Vorstandsvorsitzender SMA, stellte im Prämissengespräch am 08.07.2011 klar, dass die tatsächliche Mindesthaltezeit sich in der Spitzenstunden durch das Fahrgastaufkommen verlängert:

"Es kommt vor allem auch auf die Anzahl der Fahrgäste an ... Die mittlere Fahrgasthaltezeit ... ist in der Spitzenstunde meistens etwas zu kurz." Folge ist "eine Verspätung in Spitzenstunden". Hierzu werden in die Simulation "Haltezeitverlängerungen eingebaut".

Derartige Haltezeitverlängerungen aufgrund des hohen Fahrgastaufkommens zur Stoßzeit sind in der Simulation nicht berücksichtigt. Dies wurde jedoch nicht von der SMA kritisiert. Gerade zur Stoßzeit, wenn auch das Verpätungsniveau angestiegen ist, werden in der Simulation die kürzesten Haltezeiten realisiert.

Verspätungsabbau aus Haltezeitverkürzung in der Praxis

Zum Verständnis dieses Themas wurden reale Verspätungsdaten mehrerer Wochen im August und September 2011 für die Hauptbahnhöfe Köln, Düsseldorf, Essen, Hannover, Mannheim, Augsburg aus der elektronischen Fahrgastinformation der Deutschen Bahn ausgewertet, insgesamt wurden über 20.000 Halte von weiterfahrenden Zügen im Fern- und Nahverkehr erfasst.

Verspätungsabbau durch Haltezeitverkürzung (Differenz zwischen Ankunfts- und Abfahrtsverspätung)
Obwohl die Anzeige der Verspätungen nur in 5-Minuten-Stufen erfolgt, sorgt das "Gesetz der großen Zahlen" zu einem guten Teil dafür, dass sich die Wahrscheinlichkeitsverteilung der ausgewerteten Parameter in deutlich feinerer Abstufung zeigt. Für die Hauptverkehrszeit von 6 bis 10 Uhr wurde untersucht, in welchem Ausmaß bzw. wie häufig ein Verspätungsabbau im Bahnhof stattfindet in Abhängigkeit von der fahrplanmäßigen Haltezeit. Um eine bessere statistische Basis zu erhalten, wurden die Daten von Fern- und Nahverkehr gemeinsam ausgewertet. Die Fehlerbalken geben den statistischen Fehler der Messungen wieder, er ist besonders gering bei den häufigen fahrplanmäßigen Haltezeiten von 2 und 3 Minuten. Bei 10 Minuten Fahrplanhaltezeit gab es nur zwei Züge mit Verspätungsveränderungen, die sich gegenseitig kompensierten. Dieser Ausreißer wurde nicht in die Auswertung einbezogen.

Es wird im Einklang mit der Erwartung eine im Groben lineare Abhängigkeit gefunden. Der Schnittpunkt der Geraden mit der Null-Linie müsste nach der modellhaften Haltezeitverkürzung genau die Mindesthaltezeit liefern. Dieser Schnittpunkt liegt knapp über 2 Minuten. Aber der gemessene mittlere Verspätungsabbau liegt auch noch bei 3 Minuten Fahrplanhaltezeit unter Null.

Ein Blick in die Daten zeigt, dass sie stark von den längeren Verspätungsereignissen etwa durch technische Störungen am Zug mit teilweise hohem Verspätungsaufbau beeinflusst werden. Um das systematische Verhalten besser sichtbar zu machen, musste deshalb bei der hier vorgelegten Auswertung die großen Haltezeitverlängerungen im Bahnhof mit Werten > 15 Minuten ausgeblendet werden. Dies hat zur Folge, dass zwar der reine Verspätungsabbau durch Haltezeitverkürzung besser sichtbar wird, die Mittelwerte aber noch zu optimistische Werte haben. Somit sind die im Golgenden reklamierten Fehler im Stresstest vorsichtig geschätzt. Auch in der Stresstest-Simulation wurden entgegen der Realität keine große Haltezeitverlängerungen angenommen, dies wird an anderer Stelle in diesem Wiki besprochen (Gekappte Haltezeitverlängerungen, Kein Stress im Test.

NoGo.png Das heißt, bei kurzen fahrplanmäßigen Haltezeiten bis 3 Minuten findet in der Praxis kein Verspätungsabbau statt, sondern im Schnitt weiterer Verspätungsaufbau.

Verspätungsabbau in der Praxis weniger als halb so groß

Simulations-Variante /
Praxis-Auswertung
Mittlerer Verspätungs-
abbau in Sekunden
Quelle
Simulations-Varianten, Sensitivitäten
Grundvariante 46 Sek. Doku. S. 67
75 % Fahrzeitüberschüsse 48 Sek. Doku. S. 112
ohne Güterverkehr 47 Sek. Doku. S. 132
Auswertezeitr. 7-8 Uhr 56 Sek. Audit Bl. 183
Datenmodell 15. Juli 45 Sek. Audit Bl. 195
Finaler Simulationslauf 52 Sek. Doku FS S. 5
Praxis-Werte, Auswertungen von Vergleichsbahnhöfen
Mittelwert aller Halte 8 Sek. Großbhf. 08-09.2011
S21-Modell aus Einzelmesswerten 16 Sek. Großbhf. 08-09.2011
S21-Modell mit linearer Näherung 20 Sek. Großbhf. 08-09.2011
Vergleich der mittleren Haltezeitverkürzungen in der Simulation und in der Praxis.

Der mittlere Verspätungsabbau durch die Verkürzung der Haltezeiten im Hauptbahnhof liegt bei den im Stresstest untersuchten Varianten zwischen 45 und 56 Sekunden, im Mittel bei 49 Sekunden.

Die Auswertung mehrerer Wochen im August und September 2011 für die Hauptbahnhöfe Köln, Düsseldorf, Essen, Hannover, Mannheim, Augsburg ergibt in der Praxis deutlich geringere Werte. Ausgewertet wurde die Hauptverkehrszeit von 6 bis 10 Uhr. Im Fernverkehr wird an diesen Bahnhöfen nur knapp 4 Sekunden Haltezeitverkürzung realisiert, im Regionalverkehr gut 11 Sekunden, im Mittel 8 Sekunden. Der Fahrplan von Stuttgart 21 weist aber einen markanten Unterschied auf, während bei den Vergleichsbahnhöfen die mittlere Haltezeit 3,7 Minuten beträgt sind es im Tiefbahnhof 5,3 Minuten, mit einigen längeren Haltezeiten.

Im ersten Schritt wurden die in der Praxis im Mittel realisierten mittleren Haltezeitverkürzungen pro fahrplanmäßiger Haltezeit getrennt nach Fern- und Regionalverkehr erfasst (siehe oben). Diese Werte wurden entsprechend der Häufigkeit der fahrplanmäßigen Haltezeiten im Stresstestfahrplan gewichtet gemittelt. Es ergibt sich ein Modell für Stuttgart 21, das aus Praxiswerten zusammengesetzt wurde. Man erhält für Stuttgart 21 eine aus der Praxis zu erwartende mittlere Haltezeitverkürzung von 16 Sekunden.

Wird diese Auswertung mit den Werten eines linearen Trends durch die gemessenen Haltezeitverkürzungen der verschiedenen Fahrplanhaltezeiten durchgeführt (um einzlne Ausreißer herauszumitteln, siehe Abbildung oben), so erhält man eine mittlere Haltezeitverkürzung von 20 Sekunden.

NoGo.png Die in der Praxis realisierbaren Haltezeitverkürzungen liegen bei 33 % bis 40 % der Annahmen in der Stresstest-Simulation. Man kann mit Sicherheit aussagen, dass der Verspätungsabbau durch Haltezeitverkürzung in der Stresstest-Simulation mindestens um den Faktor 2 zu groß angesetzt wurde. Es kann dabei noch nicht entschieden werden, ob die Mindesthaltezeiten zu gering angesetzt wurden oder ob in der Praxis sich einfach der rechnerische Haltezeit-Überschuss nicht vollständig zum Verspätungsabbau nutzen lässt.

Verspätungsabbau bei den "ca. 5 Min."-Verspätungen

Verspätungsveränderung bei Zügen mit 5 Minuten Ankunftsverspätung.
Um die Frage nach dem zutreffenden Modell für den Verspätungsabbau aus Haltezeitverkürzung besser beantworten zu können, wird eine genau definierte Untersuchungssituation betrachtet. Hierfür werden allein die Züge ausgewertet, die mit 5 Minuten Ankunftsverspätung einfahren. Das sind in der Regel die harmloseren Ereignisse, die auch leichter betrieblich kompensiert werden können, im Unterschied zu technischen Störungen oder gravierenden Personenereignissen. Diese Werte zeigen eine geringe Streuung und lassen sogar gut nach Nah- und Fernverkehr getrennt auswerten. Der Übersichtlichkeit halber wurden hier die Fehlerbalken weggelassen.

Bei Fahrplanhaltezeiten deutlich über 5 Minuten kann die 5 minütige Verspätung praktisch immer abgebaut werden, bei Fahrplanhaltezeiten unter 5 Minuten nur noch ein Teil, ganz entsprechend der Erwartung. Man erkennt deutlich, dass die Kurve des Verspätungsabbaus für den Fernverkehr um rund 1 Minute zu höheren Fahrplanhaltezeiten verschoben ist. Das ist im Einklang mit der Erwartung aus der höheren Abfertigungszeit im Fernverkehr. Im wesentlichen folgen die Messwerte den Kurven für den rechnerischen Verspätungsabbau pro Halt, werden die Mindesthaltezeiten aus dem Stresstest von 1,5 Minuten im Nah- und 2,5 Minuten im Fernverkehr unterstellt (strichliert). Die Messung liegt bei kurzen Haltezeiten etwas unter der theoretischen Kurve, bei höheren etwas darüber.

Würden wir hier mit der Analyse stehen bleiben, würden wir einem systematischen Fehler unterliegen. Die Differenz aus Fahrplanhaltezeit und Mindesthaltezeit ist nicht das, was wir für den mittleren Verspätungsabbau erwarten müssen. Die Züge, für die "ca. 5 Min." Verspätung angezeigt wird, haben tatsächlich 6 bis 11 Minuten Verspätung. Entsprechend der negativen Exponentialverteilung, die bei kleineren Verspätungswerten keine schlechte Näherung an die tatsächliche Verspätungsstatistik darstellt, haben wir deutlich mehr Züge mit geringer Verspätung als Züge mit hohen Werten. Die geringer verspäteten Züge fallen dann deutlich schneller unter den 6 Minuten-Grenzwert als die höheren. In einer präzisen Simulation des "nominalen" Verspätungsabbaus, d.h. wenn gefragt wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit verschwindet der "verspätet"-Hinweis von der Anzeigetafel, führt dies zu einem bauchigen Verlauf oberhalb der rechnerischen geraden Linie. Gegenüber dieser exakten Simulation liegt die Praxis bei mittleren Fahrplanhaltezeiten rund 0,5 bis 1 Minute zurück (rot schraffierte Flächen). In diesem Haltezeiten-Bereich ist die Modellannahme im Stresstest um diese Beträge zu optimistisch.

Wir müssen abschließend die Frage stellen, wo liegt der Fehler? Liegt der Fehler in einer falschen Annahme für die Mindesthaltezeit oder in einer falschen Annahme für die Haltezeitverkürzung? Eine niedrigere Mindesthaltezeit würde die Fehler noch vergrößern, eine höhere Mindesthaltezeit ist nicht mit den Daten an der Oberkante vereinbar. Die Differenz lässt sich auch so beschreiben: Je kleiner die Fahrplanhaltezeit umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ein rechnerisch möglicher Verspätungsabbau realisiert werden kann, oder umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Verspätungsaufbau kommt. Nehmen wir an, dass ein guter Teil der kurzen Haltezeiten unter betrieblichen Zwängen so kurz gewählt wurde, dann ist es wahrscheinlich, dass diese Halte bevorzugt von verspätungsaufbauenden Wechselwirkungen mit dem restlichen Verkehr betroffen sind. Hier wird die Erklärung für die Diskrepanz vermutet. Weitere Bestätigung für diese These könnte aus der Beobachtung stammen, dass der verringerte Verspätungsabbau bei kurzen Haltezeiten außerhalb der Hauptverkehrszeit nicht besser wird, wie zunächst zu erwarten (hier kommt hinzu, dass sogar der Verspätungsabbau bei höheren Haltezeiten nicht mehr vollständig gelingt). Trifft diese Hypothese zu, sieht man an dieser Beobachtung einmal mehr, dass ein zu eng gepackter Fahrplan zu Instabilitäten neigt. Insofern sind die vielen geringen Pufferzeiten bei Stuttgart 21 sehr kritisch zu sehen. Andererseits scheint der Einfluss der Fahrgastzahl während der Hauptverkehrszeit geringer als vermutet.

NoGo.png Die Annahme, dass im Verspätungsfall der volle Haltezeitüberschuss bis herunter auf die Mindesthaltezeit zum Verspätungsabbau genutzt werden können, erscheint unrealistisch. In der Praxis liegt bei mittleren Fahrplanhaltezeiten der tatsächlich realisierte Verspätungsabbau 0,5 bis 1 Minute unter dieser Annahme. Dies wird auf die erhöhte Verspätungsanfälligkeit eng geplanter Fahrpläne zurückgeführt.

Die Beobachtung des geringeren Verspätungsabbaus bei kleinen Haltezeiten könnte in Form einer erhöhten Haltezeitverlängerung in diesen Fällen abgebildet werden. Eine solche Korrektur ist nicht im Einzelnen von der Richtlinie 405 geregelt, sehr wohl aber die Prüfung der Parameter auf Realitätsnähe. Eine Korrektur dieses Fehlers, im Bereich von Minuten, ist im Interesse einer realistischeren Modellierung unbedingt nötig.

Haltezeiten, Zielkonflikt im Taktfahrplan

Im Audit auf S.71 findet sich ein Hinweis auf einen Zielkonflikt bei der Fahrplanerstellung von Taktfahrplänen zwischen der Spitzenstunde und den Nebenverkehrszeiten:

"Grundsätzlich ist anzumerken, dass Haltezeiten im Taktverkehr immer einen Kompromiss darstellen zwischen einer längeren Standzeit in der Spitzenstunde und kürzeren Halten in der Nebenverkerhszeit. Ein Taktfahrplan gebietet einheitliche Haltezeiten über den gesamten Tag – nur so ist die Merkbarkeit des Systems sichergestellt. Somit dürfen sich die Haltezeiten nicht ausschließlich an der Spitzenstunde orientieren, sondern müssen auch in den übrigen Stunden attraktive Reisezeiten ohne überlange Standzeiten garantieren. Der Abbau darf ggf. auch über die Spitzenstunde hinaus erfolgen."

Dies bedeutet, bei einem Taktfahrplan sind die Haltezeiten in der Spitzenstunde generell zu knapp bemessen. Dadurch ist für eine Realistische Simulation notwendig, in der Spitzenstunde an allen Unterwegshalten Systematisch eine Urverspätung zu genierieren. Ein Verspätungsabbau an kurzen Unterwegshalten in der Spitzenstunde ist komplett unrealistisch.

Nachvollziehbar ist das auf im Audit auf Blatt 164 an der Diskrepanz von Simulation und LeiDis-Daten auf der Strecke Tübingen Stuttgart. In den LeiDisDaten ist an den Stationen mit hohem Fahrgastwechselaufkommen ein deutlicher Verspätungsaufbau zu erkennen (Nürtingen, Wendlingen, Bad Canstatt) der in der Simulation nicht vorkommt. SMA bermerkt diese Diskrepanz, geht aber darüber hinweg. Hierfür wäre eine Untersuchung notwendig, ob durch die geänderten Linien sich die Fahrgastströme wirklich entschärfen, daß diese Stationen und Züge soweit entlastet werden.

Wer auf der Strecke unterwegs ist, weiß, daß in Wendlingen selbst viele Menschen zusteigen (P&R-Parkplatz) sowie viele Reisenden der Nebenbahn von Kirchheim zusteigen. Dabei sind die Züge in der HVZ von Nürtingen kommend meist bereits so ausgelastet, daß der Zustieg erschwert ist.

Gleispläne

Gleisplan Ulm: es ist nicht transparent welche Weichenverbindungen niveaugleich und welche kreuzungsfrei angenommen sind. Konsequenz: die niveaugleiche Einkreuzung der Altstrecke in den Bahnhof Ulm ist ein Kapazitätsengpass. Es ist nicht ersichtlich ob dieser Kapazitätsengpass simuliert wurde.

Gleisplan Ulm: Alle Güterzüge wurden mit Fahrziel Ulm/Startpunkt Ulm angenommen. Der Gleisplan zeigt auch die Abzweigung in den alten Ulmer Güterbahnhof. Wohin sind also die Stresstestgüterzüge gefahren ? Kreuzungfrei über die NBS hinweg in den alten - nicht mehr relevanten - Ulmer Güterbahnhof mit demensprechend beschönigender Konsequenz für den Stresstest oder aber - der Realität entsprechend - mit niveaugleicher Kreuzung der NBS - in den Westteil von Ulm Hbf und damit bereit für die Weiterfahrt nach München ?? Hier ist Offenlegung gefordert.

RailSys: Signalstellung

Verspätete Abfahrt im Bahnhof (z.B. Türe klemmt): In der Realität wird das Signal zur fahrplanmäßigen Abfahrt auf grün gestellt, die Trasse des Zugs wird blockiert und hält z.B. den kreuzenden Zug für die Dauer der Verspätung auf. Bei RailSys wird erst zur verspäteten Abfahrt das Ausfahrsignal auf grün gestellt, solange können kreuzende oder einmündende Verkehre fahren.
Heiko Frischmann aus Hochheim entdeckte bei einer Überprüfung der Abbildung der Abfertigungszeiten im Stresstest eine weitere leistungssteigernde Ungenauigkeit im Stresstest:

NoGo.png Ex.png Eine Modellunschärfe in der bei dem Stresstest zu Stuttgart 21 verwendeten Software "RailSys" der Firma RMCon führt zu einer weiteren unrealistischen Leistungssteigerung. RailSys simuliert nicht die Detailabläufe eines Stellwerks, vielmehr stellen sich im wesentlichen die Züge die Signale selbst. Dies wirkt sich insbesondere bei Zügen mit einer verspäteten Abfahrt aus:

  • In der Realität wird das Signal bei geringen Verspätungen, sowie auch bei Verspätungen im Bahnhof selbst (klemmende Tür, technische Störung am Zug, ...) immer zur planmäßigen Abfahrt auf Fahrt gestellt. Die Trasse ist somit für diesen Zeitraum blockiert. Eine nachträgliche Rücknahme eines Signals ist nur im Rahmen schwerwiegendster Störungen, die eine Weiterfahrt generell unmöglich machen, üblich.
  • In der RailSys-Simulation hingegen stellen sich die Züge die Signale selbst. Hat ein Zug Verspätung, so schaltet er sein Abfahrt-Signal erst bei der tatsächlichen Abfahrt auf Grün. Dies bewirkt, dass die Trasse erst dann für andere Züge blockiert ist.

Etwa aus der Veränderung der Belegungsgrade der Bahnhofsköpfe lässt sich die Wirkung dieses Fehlers in dem eng belegten Bahnhof Stuttgart 21 abschätzen: Gegenüber dem Ablauf in der Praxis ergibt sich eine unrealistische Kapazitätserhöhung um rund 5 %, dies entspricht 2-3 Zügen in der Spitzenstunde. Da dies auch andere Bahnhöfe im Untersuchungsraum betrifft, ist eine weitere Ergebnis-Verzerrung zu erwarten. Die quantitative Auswirkung lässt sich genauer nur anhand einer korrigierten Simulation feststellen.

Im konkreten Fall des Stresstests überlagert sich diese Besonderheit der Simulation jedoch mit anderen Fehlern, wie den gekappten Haltezeitverlängerungen. Erst nachdem diese Fehler behoben wurden, lässt sich der Beitrag der RailSys-Signalstellung zur Kapazitätserhöhung bestimmen.

Die "Modellunschärfe" wurde bisher verschiedentlich als "Softwarefehler" des Programms RailSys bezeichnet. Es handelt sich aber nicht um einen Programmierfehler, sondern tatsächlich um eine nicht realitätsgetreue Abbildung des Bahnbetriebs in der Simulationssoftware.

Bestätigung der Modellunschärfe

Original Screenshot (Ausschnitt, Hervorhebungen durch WikiReal) aus dem Programm RailSys von RMCon, angefertigt von einem Lizenznehmer. Über Heiko Frischmann WikiReal zur Verfügung gestellt. Die Abfahrt des von rechts kommenden Zuges RB 1002 verspätet sich im Bahnhof unvorhergesehen. Die Folgetrasse hätte rund 15 Min. früher zur planmäßigen Abfahrt blockiert werden müssen.
  1. Die Besonderheit in der Signalstellung wurde von RMCon telefonisch gegenüber Heiko Frischmann bestätigt. Zuvor wurde der Sachverhalt intern eingehend überprüft. Eine schriftliche Bestätigung wollte RMCon auf Wunsch der Geschäftsleitung nicht geben. Es gibt bisher noch kein Update der Software, das das Problem behebt.
  2. Die "Modellunschärfe" wurde ebenfalls telefonisch gegenüber dem Landesverkehrsministerium Baden-Württemberg bestätigt. Ein Email-Gesprächsvermerk liegt vor. Es wird insbesondere bestätigt, dass sie die Leistungsfähigkeit prinzipiell positiv beeinflusst. Die Auswirkungen auf die modellierte Leistungsfähigkeit seien nicht erheblich [Kommentar WikiReal: Ein dehnbarer Begriff, der auch noch die abgeschätzten 5 % Wirkung in der Leistung umfassen könnte]. Der Effekt könne durch andere Einstellungen im Programm korrigiert werden [Kommentar WikiReal: "Korrigiert" ist nicht zutreffend, siehe unten].[2]
  3. Es liegt eine schriftliche Bestätigung eines angesehenen Bahntechnik-Institutsleiters vor.
  4. Desweiteren liegt als Beleg ein Original-Screenshot einer entsprechenden Situation in RailSys vor (rechts). Unter einer Skizze der Gleissituation (Streckenspiegel) ist eine sogenannte "Sperrzeitentreppe" aufgetragen. Dargestellt ist das Weg-Zeit-Diagramm zweier Züge mit den zugehörigen blockförmigen Sperrungen der von den Zügen belegten Streckenabschnitte (grün für pünktlich, rot für verspätet). Besonders deutlich sichtbar wird das Problem in der Fahrt des von rechts kommenden "RB1002". Es ist sowohl die planmäßige Fahrt (grüngelb) als auch die verspätete Fahrt (weiß gepunktet) aufgetragen (der Beginn der Ausfahrt wurde jeweils durch eine dicke gelbe Linie hervorgehoben). Da eine bei der Abfahrt entstehende Verspätung inklusive ihrer Dauer zuvor nicht bekannt ist, hätte das Ausfahrsignal zur planmäßigen Ausfahrt auf grün springen und der Block zwischen Soll-Weg-Linie und Ist-Weg-Line blockiert sein müssen, was aber ausweislich des Screenshots nicht der Fall ist. Erst zur verspäteten Abfahrt wird die Ausfahr-Trasse blockiert.

Kompensation der Modellunschärfe?

Die "prinzipiell leistungserhöhende" Wirkung der Modellunschärfe wurde vom Hersteller eingestanden. Eine in die andere Richtung gehende Wirkung ist prinzipiell nicht vorstellbar, da die Streckenblockaden grundsätzlich verkürzt erscheinen, während der Dauer der Verspätung fehlt die Blockade der folgenden Trasse, die von anderen Zügen zu Fahrten genutzt werden kann und auch genutzt wird. Kann die Modellunschärfe kompensiert werden?

  1. Eine Simulationsoption, die das Problem vermeiden würde (die sogenannte "gestellte Ausfahrt" oder auch "HP1"-Einfahrt), wurde laut dem Stuttgart 21-Kommunikationsbüro nicht aktiviert – sie hätte auch einen noch höheren Kapazitätsverbrauch zur Folge.
  2. Eine pauschale Kompensation etwa durch einen Zeit-Aufschlag auf beispielsweise die Fahrstraßenbildezeit würde nicht die stochastische Signatur des Fehlers wiedergeben. Die Vorgänge im Bahnhof reagieren besonders empfindlich auf einzelne größere Störungen. Eine parallele minimale zeitliche Verschiebung sämtlicher Vorgänge ist dagegen kaum herausfordernd für das System.

Falsche Modellierung der Urverspätung bei Zughalten in Railsys

Überwiegende Simulation von "Haltezeitverspätungen" anstatt "Abfahrtsverspätungen"

In Railsys gibt es unterschiedliche Störungsarten um Züge beim Bahnhofshalt zu verspäten. Jeder Störungsart ist auch eine Verteilung zugeordnet. Es kann definiert werden welche Züge sich mit welcher Wahrscheinlichkeit an einem Haltepunkt verspäten.

Die korrekte Verspätungsart um die Abfahrt eines Zuges um den Betrag der Verspätung zu verschieben ist die "Abfahrtsverspätung". Sie wirkt auf die unterstellte Abfahrt des Zuges ohne Verspätung.

Im Stresstest wurden jedoch fast ausschliesslich "Haltezeitverspätungen" simuliert. Bei dieser Verspätungsart wird nicht direkt die Abfahrt eines Zuges verzögert, sondern die benötigte Mindesthaltezeit für den andauernden Haltevorgang erhöht.

Es ist deshalb möglich dass Züge die sich "verspäten" dennoch pünktlich abfahren.

Dies hat damit zu tun, dass die generierte Verspätung bereits durch die Differenz aus Planhaltezeit und Mindesthaltezeit abgebaut werden kann, bevor sie "wirksam" wird.

Dieser Effekt kommt um so stärker zum tragen, je geringer die bereits vorhandene Verspätung eines Zuges ist. Diese Art der Modellierung steht im groben Widerspruch zum allgemeinen Sprachgebrauch des Wortes "Verspätung" und widerspricht zudem den Anforderungen der Richtlinie 405 für Urverspätungen in Simulationsprozessen.

Bei der Wirkung der unterstellten Verspätungen des Schlussberichts der SMA ergibt sich für Züge die absolut pünktlich in den Bahnhof einfahren folgendes Bild:

Trotz des Wirkens einer Verspätung fahren statistisch gesehen von dieser Menge:

-27% der S-Bahnen ohne tatsächliche Verspätung ab

-73% der S-Bahnen verspäten sich 30 Sekunden zu kurz

-39% der Nahrverkehrszüge ohne tasächliche Verspätung ab

-61% der Nahverkehrszüge verspäten sich 30 Sekunden zu kurz

-20% der Fernzüge ohne tatsächliche Verspätung ab

-80% der Fernzüge verspäten sich 30 Sekunden zu kurz

Die konkreten Zahlen ergeben sich aus der prozentualen Berechnung jener Züge, deren Verspätung gemäß einer negativ logarithmischen Verspätung, mit den angegebenen Mittelwerten höchsten so groß sind wie der planmäßige Verspätungsabbau pro Halt.

Diese Werte gelten für Stuttgart 21 gemäß der Haltezeiten im Audit auf S.68 . Tendenziell ist der Effekt auf die Simulation für pünktliche Züge aber noch größer, da einige Züge längere Haltezeiten haben und somit mehr Verspätung vorzeitig abgebaut werden kann.

Es fehlen genauere Daten um zu beurteilen wie viel Prozent der Gesamtverspätung hierdurch aus dem System enfernt werden. In jedem Fall werden Züge die nur gering oder gar nicht verspätet sind, zu gering verspätet.

Als erste Schätzung kann gelten, dass etwa 15% der Züge im System unter 30 Sekunden verspätet sind. Somit kann darauf geschloßen werden, dass bei einer annähernd stetigen Verteilung der Verspätungen etwa 7,5% der Gesamtverspätungen aus dem System regelwidrig entfernt wurden.

Die Simulation wurde deshalb wesentlich entlastet und eine konstruierte Tendenz zur Pünktlichkeit in das System eingebaut.








Einzelnachweise

In Klammern gesetzte (Quellenangaben) ohne Fußnote beziehen sich zumeist auf wesentliche Unterlagen zum Stresstest, die im Artikel "Dokumente" beschrieben werden.

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  1. 2009, Qualitätsflyer Verband Region Stuttgart (region-stuttgart.org)
  2. 20.03.2012, mvi.baden-wuerttemberg.de, "Minister Hermann: Angebliche Mängel bei Berechnung der Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 werden geprüft – Gespräche mit Bahn, SMA und S-21-Kritikern"