Stuttgart 21/Personenzugänge/Durth Roos
Ergebnis
Die Deutsche Bahn AG hat der Personenstromanalyse der Firma Durth-Roos stark gesenkte Anforderungen vorgegeben. Trotzdem zeigt die Analyse zahlreiche kritische Engpässe. Somit ist Stuttgart 21 für die Fußgänger deutlich unterdimensioniert.
Aktuell
11.03.2014 | Die Personenstromanalyse der PTV, die die Durth-Roos-Analysen bewertet, macht Wirbel. Die Rechnungen zum Kopfbahnhof wie auch die Bewertung des Tiefbahnhofs sind jedoch methodisch und im Ergebnis falsch. |
19.02.2014 | Seit einem Jahr hat die Bahn den Vorwürfen zur Täuschung des Gemeinderats zu den Personenstromanalysen von Durth-Roos nichts entgegenzusetzen (St.Z. 19.02.14, Kommentar, siehe dazu St.Z. 03.01.2013). |
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Personenstromanalysen von 1998, 2009 und 2012
Gemessen an dem geplanten Verkehrswachstum hatte die Deutsche Bahn AG den von der Durth Roos Consulting GmbH durchgeführten Personenstromanalysen eine verringerte Belastung vorgegeben. Und gegenüber ihrer wiederholten Zusage eines "hohen Bewegungskomforts" mit "internationaler Vorbildfunktion" hatte sie die Ansprüche an den Bewegungskomfort gesenkt. Dabei ging sie unter ihre ursprünglichen Vorgaben und teils unter die Minimalanforderungen der Richtlinie. Trotzdem erreicht der Bahnhof an mehreren Stellen nicht die Minimalqualität und weist rund 60 kritische Engpässe auf. Bei regelkonformer Analyse würden diese größtenteils auch durchfallen, die Fußgängeranlagen von Stuttgart 21 sind somit gegenüber den gesetzlichen Minimalanforderungen deutlich unterdimensioniert. Der zugesagte Komfort und das geplante Verkehrswachstum sind nicht erreichbar.
Während der meisten Zeit der Planung waren die Arbeiten des Gutachters Durth-Roos Consulting GmbH die Grundlage der "Dimensionierung der Fußgängeranlagen" von Stuttgart 21. Eine erste Personenstromanalyse stammt aus 1998, die abgeschlossene Bewertung aus 2009 mit einer ergänzenden Betrachtung von 2012. Diese Arbeiten wurden in einer ausführlichen Untersuchung (Engelh. 27.02.13) für die Fraktion SÖS/Linke detailliert analysiert. Besonderes Augenmerk galt dabei auch dem Umgang des Auftraggebers der Deutschen Bahn AG mit den Prämissen und den Ergebnissen der Untersuchung. Auf dieser Wiki-Seite werden diese Ergebnisse zusammengefasst dargestellt und um später hinzu gekommene Diskussionspunkte oder Korrekturen ergänzt.
Belastungen gesenkt
Für eine realistische Simulation hätten in den Personenstromanalysen die Belastungen um einen Faktor 1,5 bis 2 höher angesetzt werden müssen:
- Es wurden nur die Reisenden aus 32 Zügen pro Stunde berücksichtigt, nicht etwa die aus den 49 Zügen des Stresstests. Die 32 Züge liegen deutlich unter den 38 Zügen, die heute fahren und weit unter dem zugesagten Wachstum von 50 % laut Finanzierungsvertrag. Das von der Bahn angegebene Wachstum an Reisenden von 23 % liegt in Wirklichkeit niedriger und beträgt wohl nur ca. 11 %. Es müssten somit rund 35 % mehr Reisende angenommen werden, um 50 % Wachstum abzubilden.
- Nicht nur der Stresstest auch das 32-Züge Programm setzten Doppelbelegungen voraus. Bei Doppelbelegungen sind aber die Bahnsteige mit 100 % mehr Reisenden belastet. Dieser Punkt steht zur Diskussion.
- In den Personenstromanalysen wurde mit rund 1.100 Reisenden pro Zug gerechnet. Für Regionalverkehrszüge sind jedoch mit 1.370 Reisenden rund 25 % mehr Reisende pro Zug am Bahnsteig zu erwarten.
- In den Simulationen wurde unrealistisch unterstellt, dass 40 % der S-Bahn Umsteiger zum Zugverkehr einen Umweg mit 14 Meter Höhendifferenz über die "kommeziellen Flächen" nehmen, statt den kürzeren direkten Weg über die Abgänge von den Bahnsteigen zur S-Bahn. Ohne diese unrealistische Annahme wären rund 20 % mehr Reisende an den kritischen Engpässen neben den Rolltreppen auf den Bahnsteigen zu erwarten.
Qualitätsansprüche gesenkt
Darüber hinaus waren die Hürden der angestrebten Betriebsqualität um gut einen Faktor 2 gesenkt worden:
- Die S21 für die Spitzenzeiten vorgegebene Qualitätsstufe C wurde effektiv auf D abgesenkt, somit werden im Schnitt 40 % höhere Personendichten akzeptiert als zugesagt.
- Die Bahnsteigräumzeit wurde entgegen der Vorgabe der Bahnrichtlinie und entgegen der technisch möglichen Zugfolgezeit von 2,5 Minuten auf 4 Minuten heraufgesetzt[4], deutlich über dem Maximalwert von 3 Minuten. Somit werden 60 % mehr Personen akzeptiert als regelkonform möglich.
Trotz gesenkter Anforderungen unzählige kritische Engpässe
Trotz der um Faktoren gesenkten Ansprüche erscheinen in den Personenstromanalysen von Durth-Roos zahlreiche kritische Engpässe (Abb. rechts oben). 3 Engpässe auf den Bahnsteigen erreichen nur Stufe E und sind durchgefallen. Sie können nur entschärft werden, wenn man annimmt, dass die Fußgänger 100 m Umweg zu den hinteren Aufgängen zu Steg B nehmen. Das gelingt diesen Leuten jedoch gar nicht, da sie nicht an den verstopften Engpässen neben den Treppen vorbeikommen. An fast 60 Stellen wird nur Stufe D erreicht, trotz der nur 32 Züge und fehlenden Doppelbelegungen und insbesondere bei einer unzulässig um 60 % verlängerten Bahnsteigräumzeit. Bei einer richtlinienkonformen würden die meisten dieser Engpässe nur Stufe E erreichen. Stuttgart 21 ist demzufolge laut den Personenstromanalysen von Durth Roos gravierend unterdimensioniert
Neue Kritikpunkte zur Fußgänger-Dimensionierung
Hier sollen Kritikpunkte gesammelt werden, die noch nicht in der Stellungnahme vom 27.02.2013 Erwähnung fanden, Korrekturen bzw. weitergehende Betrachtungen:
- Das PTV-Gutachten in der Version vom 17.12.1013 beschreibt auf Seite 27 oben, dass im Kopfbahnhof aufgrund des gewählten Analyseverfahrens nur 4 der 8 zur Verfügung stehenden Bahnsteige berücksichtigt wurden. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Kopfbahnhof bei gleicher Qualität das doppelte Passagieraufkommen bewältigen kann.
- Das PTV-Gutachten in der Version vom 17.12.1013 beschreibt auf Seite 19 oben unter Anmerkung I, dass sich der Komfort der Reisenden bei mehr eingesetzten Zügen (49 Züge/h statt 29 Züge/h) erhöhe, da sich das gleiche Passagieraufkommen auf mehr Züge verteile. Das ist zwar mathematisch richtig, gleichzeitig ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass bei gleichem Reisendenaufkommen mehr Züge eingesetzt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit des Bahnbetriebs 30% mehr Züge erst dann fahren, wenn auch mindestens 30% mehr Reisende unterwegs sind. Mehr Züge bedeuten also nicht höheren Komfort, sondern bestenfalls gleich bleibenden Komfort. Bei einer ungünstigen Entwicklung mit mehr Zügen hingegen liegt die Zugfolgezeit öfter unterhalb der Bahnsteigräumzeit, so dass sich bei nacheinander einfahrenden Zügen Stauungen bilden.
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Dokumente
Durth-Roos 1998 | Durth Roos Consulting GmbH, "Stuttgart 21 – Hauptbahnhof, Personenstromanalyse und Definition der Grundlagen für die Dimensionierung der verkehrlichen Anlagen", 02.1998 (pdf-Auszug ingenieure22.de) |
Durth‑Roos 09.09.09 | Durth Roos Consulting GmbH, "Stellungnahme zur Untersuchung der DB International vom 27.03.2008" |
Durth-Roos 2009 | Durth Roos Consulting GmbH, "Stuttgart 21 – Hauptbahnhof, Personenstromanalyse (Endzustand)", 09.2009 (pdf cams21.de) |
Durth-Roos 2012 | Durth Roos Consulting GmbH, "Stuttgart 21 – Hauptbahnhof, Personenstromanalyse (Endzustand); Detailbetrachtungen", 08.02.2012 |
Engelh. 27.02.13 | Christoph Engelhardt, „Stuttgart 21: Kritische Würdigung der Darstellungen der Deutschen Bahn AG zu den Personenstromanalysen“, 27.02.2013, (pdf wikireal.org) |
PTV 12.2013 | PTV Planung Transport und Verkehr AG, „Stuttgart 21 Hauptbahnhof S21 Per-sonenstromanalyse“, Schlussbericht, 17.12.2013 (pdf mvi.baden-wuerttemberg.de) |
Einzelnachweise
- ↑ 09.2009, Durth Roos Consulting GmbH, "Stuttgart 21 – Hauptbahnhof, Personenstromanalyse (Endzustand)" (pdf cams21.de). Die Anlagen sind noch nicht öffentlich einsehbar.
- ↑ 08.02.2012, Durth Roos Consulting GmbH, „Stuttgart 21 – Hauptbahnhof, Personenstromanalyse (Endzustand); Detailbetrachtungen“
- ↑ 24.07.2012, Sven Hantel, Regionalleiter Südwest, "24.07.2012 UTA Stuttgart 21", Foliensatz zur Präsentation im Stuttgarter Gemeinderat am 24.07.2012 (pdf).
- ↑ PTV Planung Transport und Verkehr AG, „Stuttgart 21 Hauptbahnhof S21 Personenstromanalyse“, Schlussbericht, 17.12.2013, Seite 12 Ziffer 11.